Stille

Ich mag die Stille und ich weiß, dass ich sie nicht nur sehr mag, sondern auch wirklich ganz sehr brauche um Kraft zu schöpfen für meinen Alltag mit meinen 2 Jungs.

Ein wichtiger Ort der Stille ist für mich die Natur. Die Ruhe wird hier nur unterbrochen von den Vögeln, vom Knacken der Äste unter meinen Schuhen, dem Rascheln der Blätter und meinem Atem. Das ist so wundervoll, weil meine Gedanken kommen und gehen können, Kreativität frei wird und ich das Gefühl habe, bei mir anzukommen und mit mir zu sein. Ganz und gar beruhigende Stille. Noch ruhiger wird es im Winterwald, wenn der Schnee fast alle Geräusche schluckt. Ich freue mich schon darauf.

Stille kann auch plötzlich aus einer Gesprächssituation heraus entstehen, wenn etwas unerwartetes, nicht alltägliches geschieht.

Als mir einmal einer meiner Teilnehmer in der Erwachsenenbildung während einer Fernsehaufzeichnung (wegen der Schließung unseres Sozialladen) ganz nebenbei berichtet hat, dass er ein ehemaliger Bankräuber ist, da war es schlagartig Still. Ich konnte erst einmal nichts darauf sagen, weil das gibt es in meiner Vorstellungswelt nur im Tatort, den ich aber nicht anschauen kann, weil ich sonst nachts Angst habe (ja, tatsächlich, mich verfolgen schlimme Bilder in den Schlaf oder nachts auf die Toilette). Daher lass ich das auch mit dem Sonntagskrimi. Dieser Mann war ein sehr netter, zuverlässiger Mensch, dem ich niemals einen Banküberfall zugetraut hätte und der sich auch nichts mehr zu Schulden hat kommen lassen, nachdem er im Gefängnis war. Die Begegnung mit seiner Frau, die durch eine Brieffreundschaft im Gefängnis entstanden war, hat seinem Leben eine neue Richtung gegeben.

Die Flüchtlinge, die ich betreut habe im letzten Jahr, haben mir gerne Bilder mitgebracht von ihrem zu Hause, dass sie zurückgelassen haben. Diese zeigten Häuser, wie sie vorher da waren und später nur noch ein Trümmerhaufen davon übrig war, da gab es traditionelle kurdische Bekleidung zu sehen, Menschen, die hier ganz anders wirkten als „dort“ und es waren natürlich auch immer viele Familienbilder dabei, die zurückgebliebene Eltern, Tanten, Onkel, Ehefrauen und Kinder gezeigt haben. Meistens habe ich dann viel gefragt und mir wurde in einem Kauderwelsch aus Deutsch, Arabisch, Englisch und Kurdisch alles erklärt zu den Bildern. Als wir einmal wieder so eine Situation hatten in der Gruppe, zeigte mir ein eher ruhigerer Mann ein Video von einem Säugling, seiner Tochter. Ich kann mich immer für Kinder begeistern und fragte nach, wo das Kind ist. Mir wurde berichtet, dass es mittlerweile verstorben ist. Vor 3 Monaten in einem Lager, in der Türkei, da es nicht die richtige medizinische Versorgung gab. Mir schossen sofort Tränen in die Augen (das einzige mal in 9 Jahren) und sagen konnte ich dazu auch nichts mehr. Plötzlich, traurige, ungläubige Stille und der Krieg mitten unter uns. Ich bin ein Mensch, auch durch meine eigenen Erfahrungen mit dem Tod, der gut Trost spenden kann. Normalerweise. Durch die Sprachbarriere bin ich da jedoch sehr an meine Grenze gekommen und ich habe alle Anteilnahme, die mir möglich war, in meinen Blick gelegt und gehofft, dass dieser Mann dies spüren kann.

Als ich mit 17 Jahren erfahren habe, dass ein guter Freund bei einem Autounfall gestorben ist und dann 4 Wochen später ein weiterer folgte, der durch einen Asthmaanfall sein Leben verloren hat, da war das genauso unglaublich, wie der Selbstmord eines Mitschülers (ich war 18 Jahre alt), der sich die Pulsadern in der Badewanne aufgeschnitten hatte. Auch der Tod des 2. Ehemann meiner Mutter, der plötzlich verstarb mit 49 Jahren, war unglaublich. Der Tod hat viele Facetten, das waren die plötzlichen und damit erschreckenden. Was folgte war schockierte Stille, Unglauben und Trauer.

Es gibt Musikstücke, die sofort jeden Dialog in mir verstummen lassen, wenn ich sie z. B. unverhofft im Radio höre. Dazu gehört die Filmmusik von Ennio Morricone zu „Spiel mir das Lied vom Tod“. Hört es Euch unbedingt an, es ist magisch und wunderschön.

In meinem Leben mit meinen Jungs ist die für mich so wichtige Stille im Moment zu selten präsent.

Vor 2 Wochen war ich so genervt davon, dass mich mein Großer, seines Zeichens ein PRÄPuperTier, seit gut 3 Monaten immer nur mit genervten Antworten abfertigt (zu 95%), dass sich mein Zorn den Weg gebahnt hat, in dem ich hochgegangen bin, wie ein HB-Männchen, obwohl ich niemals in meinem Leben geraucht habe oder vielleicht genau deshalb? Meinem Zornesausbruch folgte Stille, wenn gleich das dann keine erholsame Stille ist. Ich habe auf verschiedenen Wegen versucht Tim (10) begreiflich zu machen, dass ich seinen immer genervten Ton mir gegenüber nicht mag. Ich verstehe ja, dass er nicht immer freundlich ist, ich reagiere ja auch nicht immer richtig. Aber zu 95% pampig zu sein ist auch für mich echt zu viel. Ich hatte mich bemüht, freundlich mit ihm gesprochen, ihn geschimpft, ihn ignoriert, ihm erklärt, mir Hilfe in der Erziehungsberatungsstelle gesucht, alles Mögliche ausprobiert und geholfen hat NICHTS. Außer mein Wutausbruch und das darauffolgende Fernsehverbot. Dann war Ruhe, es war Still, es war leise. Ich möchte damit ausdrücklich nicht empfehlen seinem (unheiligen) Zorn Luft zu machen vor den Kindern, auf gar keinen Fall und dennoch passiert es mir, wenn alles zu viel ist, weil ich IMMER alles alleine managen muss mit meinen Kindern. Da gibt es NIE jemanden, den ich einfach mal bitten kann zu „übernehmen“, wenn ich merke, dass es zu viel wird oder die Geduld einfach am Ende ist.

Ulrich Schaffer schreibt in seinem Gedicht „Dein Weg“:

Und vergiss nicht zu träumen,

Dir eine Welt vorzustellen,

in der die Liebe mehr Platz hat,

in der die Hoffnung nicht aufhört

und der Friede die ganz tiefe Sehnsucht aller Menschen ist.

Zu unserem Einschlafritual bei Ben (3) gehört, dass wir im Bett ein Buch lesen und er seine geliebte Flasche mit (ungesüßtem) Fencheltee dabei trinkt. Wenn mein Kleiner dann neben mir einschläft, dabei seine Ärmchen um meinen Hals legt und mich ganz eng an sich drückt, ist das eine ganz friedliche, sanfte, erfüllende Stille, die nur unterbrochen wird von seinen regelmäßigen Atemzügen. Friede auf Erden, zumindest in diesem Moment für mich.

Da meine Kinder 7 Jahre Altersunterschied haben, kommt es öfters vor, dass ich zwischen dem Kleinen und dem Großen vermitteln muss. Da Ben ja aber nun schon selbst für sich sprechen kann, versuche ich mittlerweile erst einmal abzuwarten, wie sich eine Situation entwickelt. Folgenden Dialog habe ich zwischen meinen Kindern in abwartender Stille verfolgt:

Tim (10) zu Ben (3): „Warum ist der Polizist IM Gefängnis?“

Ben zu Tim: „Weil der mu doch auf die Mensen aufpassen!“

Klar, was sonst! Die Antwort hat dem Großen zwar nicht gepasst (der Polizist muss doch VOR der Zelle auf den Gefangenen aufpassen!), aber Ben hatte eine andere Logik. Gut so……..

Stille im Bezug auf meinen Kleinen lässt mich meistens unruhig werden, denn es bedeutet häufig, dass er was anstellt und ich es nicht früh genug merke. Die Tage habe ich mich morgens im Bad gerade geschminkt und Kaffeeduft drang in meine Nase. Das hat mich ziemlich irritiert, weil ich zum Frühstück immer Kräutertee trinke und erst später Kaffee mache. Dennoch schminkte ich mich also weiter und der Kaffeeduft wurde immer intensiver und ich immer irritierter, weil ich ja ganz bestimmt noch keinen Kaffee gekocht hatte. Zusätzlich fiel mir auf, dass Ben unheimlich still war. Ich also in die Küche gestürmt und ein Kind vorgefunden, dass in aller Seelenruhe mit meinem geliebten Espressokaffeepulver in seiner Kinderküche spielte. Was soll`s, Kaffee hat es dann für mich natürlich auch noch später gegeben, in aller Ruhe. Manchmal tue ich ihm aber auch unrecht und er spielt einfach nur. Am Mittwoch kam ich beunruhigt in die Küche, weil es mal wieder verdächtig leise war. Ich fragte schon im Reinkommen: „Was veranstaltest denn du?“ Ben antwortete: „Ich bin doch kein Stall!“ Nein, natürlich nicht!

Absolut genervte Stille hat in mir die Tatsache ausgelöst, dass in der einen Woche meine Spülmaschine kaputt ging (ich berichtete darüber) und in der nächsten Woche mein Auto. Im Moment arbeitsuchend, aber nie arbeitslos, ist nicht der richtige Zeitpunkt für so eine Anhäufung von teuren Reparaturen oder Anschaffungen. Hoffe, dass Universum liest hier mit und verschont mich vor weiteren Reparaturüberfällen, denn ich hab es nicht so mit Überfällen jeglicher Art. Früher habe ich immer innerlich gezetert, wenn so was passierte, aber das dicht aufeinanderfolgen dieser 2 „Defekte“ hat mich echt innerlich sprachlos gemacht. Auch gut, spart mir Energie habe ich gemerkt. Mein Großer hat daher das erste Mal in seinem 10-jährigen Leben mit der Hand gespült und der Kleine planscht mit Inbrunst mit seinem Lappen im Spülbecken. Geht, aber eine Spülmaschine wäre mir dennoch lieber.

Das Buch, dass ich im Moment gerade fertiggelesen habe, hat mich 2 Wochen beschäftigt und mich nachdenklich Still gemacht. Anfang September war die Freude groß, als ich gefragt wurde, ob ich eine Rezension über das Buch von Mariam Irene Tazi-Preve „Das Versagen der Kleinfamilie“, schreiben würde. Natürlich mache ich das und verrate Euch schon so viel, dass es mein Weltbild auf den Kopf gestellt hat. Mehr davon lest Ihr in der nächsten Woche in meinem neuen Blogartikel und damit meiner ersten (angefragten) Buchrezension.

Was macht Euch Still? Mögt Ihr die Stille oder meidet Ihr sie vielleicht sogar?

2 Gedanken zu “Stille

  1. Karin schreibt:

    Ohne Stille könnte ich nicht überleben.
    Ich liebe die Stunden, in denen alle Familienmitglieder außer Haus sind.
    Mal für kurze Zeit ohne Rücksicht auf andere und ohne unterbrochen zu werden (naja außer vom Telefon vielleicht..) vor sich hin wurschteln….
    Schreiben, lesen – und nach so einer Zeit wuppt frau den Alltag wieder etwas leichter….

    Gefällt 1 Person

    • Mama streikt schreibt:

      Liebe Karin, mir geht es auch so. Ich mag es auch sehr, wenn ich mal alleine zu Hause bin. Dann läuft oft nicht mal der Radio, weil es einfach gut tut, wenn es still ist. Herzliche Grüße, Claire

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