Lebt Tante Tilly noch?

Ich bin gerne Mutter und ich bin nach 8 Jahren mittlerweile auch gerne eine alleinerziehende Mamalias (so nennt mich mein Kleiner im Moment). Naja, okay, meistens. Da gäbe es schon noch Wünsche (hoffentlich zählt das Universum zu meinen Followern) und dennoch habe ich mich ganz gut arrangiert mit meinem Leben, was mich auch ein bisschen Stolz macht.

Eine berufstätige, bedürfnislose, aufopfernde, eierlegende Wollmilchmodelmama dagegen bin ich NICHT gerne.

Ich war vor 8 Jahren nach 3 Operationen wegen einem Spritzenabszess (die Wunde war 8 cm tief und 25 cm lang!) und einer Trennung so am Ende mit meinen Nerven, dass ich damals zum Vater von meinem Großen (er war 2 Jahre alt) gesagt habe, er soll seinen Sohn mitnehmen (wir wohnten da schon in getrennten Wohnungen). Diese Aussage hatte zur Folge, dass ich eine Nacht unfreiwillig in der Psychiatrie verbracht habe und das ich mir von einem Psychologen sagen lassen musste, dass eine Mutter nicht sagt, dass der Vater das Kind mitnehmen soll. Wörtlich sagte der Psychologe in der Psychiatrie: „Eine Mutter sagt sowas nicht.“ Aha!

 Ich habe damals auf ganz schmerzliche Weise gelernt, dass ich als Mutter nicht am Ende zu sein habe mit meinen Kräften und wenn ich es dennoch bin und es nun, sagen wir „unglücklich rüber bringe“, hat das unter Umständen eine unfreiwillige Nacht in der Psychiatrie zur Folge. Wohlgemerkt, hatte ich weder Tabletten genommen (wenn man mal von den zig Ibuprofen absieht, die ich damals verschrieben bekam, wegen den Schmerzen), noch Drogen, noch Alkohol getrunken. Damit diese große Wunde nicht ein Jahr braucht um zum verheilen, sondern nur 3-4 Monate, hatte ich ein vierteljahr eine Vakuumpumpe in dieser riesigen Eiterhöhle sitzen. Dies zog unendliche Arztbesuche nach sich und obwohl ich damals schon alleinerziehend war, wundere ich mich heute, dass mir keine Haushaltshilfe verschrieben wurde und ich auch sonst nicht gefragt wurde, wie ich den Haushalt und die Betreuung von meinem 2-jährigen Sohn schaffe mit einem offenen Bein und starken Schmerzen. Vielleicht hätte ich da selbst nachhaken müssen bei den Ärzten im Krankenhaus, aber ich war aus meinen Leben, in dem ich schon sehr früh erwachsen sein musste gewohnt, dass ich alles alleine schaffen muss. So auch 3 Operationen verkraften, berufstätig, alleinerziehend mit einem Kleinkind und ansonsten keinem großen Netzwerk, da ich erst wieder 2 Jahre in meiner Heimatstadt war und vorher in Stuttgart gelebt hatte.

 Meine Ansprüche an mich als Mutter, waren geprägt von 50er-Jahre Heimatfilmen (lacht nicht und auch keine rollenden Augen bitte) und der Vorstellung, dass ich auf keinen Fall so eine Mutter sein wollte, wie meine Mutter. Heute weiß ich, dass diese fast schon skurrile Vorstellung von Mutterschaft nicht realistisch ist.  Der Weg zu dieser Erkenntnis war lang und schmerzhaft. Heute ist meine Vorstellung von Mutterschaft die, dass ich immer das Beste möchte für meine Kinder, für uns als Dreifamilie (Wortkreation von Ben), es aber nicht immer gelingt, am Ende dennoch meistens alles gut ist. Die Voraussetzung dafür ist jedoch, dass ich gut für mich sorge! Und Du für Dich!

 Ich bin heute keine berufstätige, bedürfnislose, aufopfernde, eierlegende Wollmilchmodelmama mehr und will auch keine mehr sein. Gesellschaftlich sehe ich jedoch genau diese Anforderung an Mütter, der berufstätigen, bedürfnislosen, eierlegenden Wollmilchmodelmama und das macht mich ärgerlich. Manchmal wünsche ich mir dann tatsächlich, dass irgendwie alles rosarot wäre, wie in den Heimatfilmen oder in der Werbung. Apropos Werbung. Wir saßen diese Woche beim Abendbrot und Ben wollte seine Hände im Becher mit Apfelschorle baden. Die Handbewegung hat mich dabei an eine Werbung aus meiner Kindheit erinnert und ich sagte zu Ben nicht „Du sollst doch nicht…..“, sondern: „Ben, Du bist doch nicht Tante Tilly.“ So schnell waren die Hände noch nie irgendwo wieder weg / raus. Fand ich interessant. Tim (10) fragte mich natürlich, wer denn Tante Tilly ist. Ich erzählte meinen Jungs, dass Tante Tilly eine Fernsehtante aus der Werbung war in meiner Kindheit und dass sie einen aufgefordert hat, die Hände in Spülmittel zu baden. Ach so, Tim verstand und fragte: „Lebt Tante Tilly noch?“ Das wußte ich auch nicht, den Werbefilm habe ich dann aber tatsächlich auf Youtube gefunden und wir haben ihn angeschaut. Hach, damals!

 Damals war nicht alles besser, aber Frauen hatten dennoch den „Vorteil“, dass ihnen Heim, Herd, sowie die Kindererziehung zugedacht war und nicht viel mehr darüber hinaus. In diesen Zeiten hat ein Lohn ausgereicht um eine Familie zu ernähren und Mütter waren meistens (wenn überhaupt) nur halbtags beschäftigt. Heute sind Mütter auch nach wie vor für Heim, Herd und die Kindererziehung verantwortlich und ZUSÄTZLICH sollen sie möglichst Vollzeit arbeiten gehen. Verkauft wird einem das als Wahlmöglichkeit, dass heute Frauen beides haben können (Kind und Karriere). Pustekuchen, Frauen MÜSSEN heute im Job und zu Hause 100 % geben und das schlimme dabei ist, dass die „Arbeit zu Hause“ als Privatangelegenheit unsichtbar gemacht wird in der Gesellschaft und wir, die Mütter, dabei auf der Strecke bleiben.

 Care-Arbeit (Kindererziehung und die Pflege von Angehörigen) muss aber sichtbar werden, damit wir zukünftig in einer solidarischen Gesellschaft leben können und nicht in einer ausschließlich profitorientierten.

 Ich möchte daher alle meine Leser/innen, sowie Unterstützter/innen aufrufen zu einem friedlichen Netzprotest unter dem #carearbeitmusssichtbarwerden. Immer Sonntags bitte ich Euch ab 12.11.17 bis 28.01.18, den #carearbeitmusssichtbarwerden zu posten auf Twitter, Instagram, Facebook oder in Eurem Blog (gerne könnt Ihr dazu auch einen Blogbeitrag schreiben und ihn hier in den Kommentaren verlinken). Mit diesem #carearbeitmusssichtbarwerden könnt Ihr gerne auch posten, was Euch auf der Seele brennt in diesem Zusammenhang, Ihr könnt aber auch nur den #carearbeitmusssichtbarwerden posten um zu zeigen, dass Care-Arbeit, Arbeit ist und diese Tatsache in die Mitte der Gesellschaft gehört, da sie die Grundlage eben dieser ist.

 Ich möchte die Aktion nicht einmalig starten, denn ich erhoffe mir von dem einmal wöchentlichen Posts über viele Wochen hinweg, dass wir immer mehr Menschen werden, die möchten, dass Care-Arbeit sichtbar wird, daher hoffe ich, wie John Lennon singt in seinem Lied Imagine:

 Du wirst vielleicht sagen, ich sei ein Träumer,
aber, ich bin nicht der einzige!
Und ich hoffe, eines Tages wirst auch du einer von uns sein…….

 

Hinterlasst mir gerne Eure Meinung dazu in den Kommentaren oder verfasst einen Blogbeitrag zu #carearbeitmusssichtbarwerden und veröffentlicht den Link hierfür  in den Kommentaren. 

  

31 Gedanken zu “Lebt Tante Tilly noch?

  1. Mrs. Eastie schreibt:

    Hallo, du sprichst mir aus der Seele und ich sehe viele Dinge ganz genau so! Das beschreibe ich dir in einem eigenen Artikel auch noch ausführlicher, wenn du magst. Eins sei jedenfalls gesagt, es ist sowas von mutig, diese Dinge beim Namen zu nennen und ich finde dich unheimlich stark. Die Vorstellung, wie man als Mutter zu sein hat, ist auch immer so ein Klischee. Vor allem, wenn man sich ständig selbst hinterfragt. Klasse Artikel! Viel Kraft und Liebe dir und ganz viele wunderschöne Momente im Leben und liebe Grüße aus dem Leipziger Land!

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    • Mama streikt schreibt:

      Liebe Mrs. Easstie, herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Ich freue mich, wenn Du zu #carearbeitmusssichtbarwerden auch einen Beitrag schreibst und den Link hier in den Kommentaren postest. Ich denke ganz sehr, dass wir uns gegen diese hohen Anforderungen wehren müssen, denn sonst werden wir krank. Das kommt dann auch am ehesten unseren Kinder zu Gute. Nur wenn es uns gut geht, geht es auch den Kindern gut (der Satz ist von Alexandra Widmer). Kraft kann ich gut gebrauchen und Liebe natürlich auch, ich sende Dir das gleiche vom Frankenwald ins Leipziger Land. Herzlichst, Claire

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  2. Mutter Courage schreibt:

    Auf so einen Artikel habe ich gewartet, gut, dass mal eine Mutter den Wahnsinn in Worte fasst. Eine sehr gute Idee, Care-Arbeit macht eine Gesellschaft im Übrigen menschlicher!

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    • Mama streikt schreibt:

      Liebe Mutter Courage, die Grundlage unserer Gesellschaft ist, dass wir füreinander sorgen und ja, ich bin ganz Ihrer Meinung, dass es unsere Gesellschaft menschlicher und solidarischer macht. Und ich hoffe ganz sehr, dass am Sonntag viele mitmachen unter #carearbeitmusssichtbarwerden und dann immer jeden Sonntag bis 28.01.2018.
      Herzliche Grüße, Claire Funke

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  3. Joachim schreibt:

    Hallo, größte Hochachtung für Ihr Vorhaben. Ihre Kinder können stolz sein auf so eine tolle Mutter – sie sind es bestimmt schon.
    Ich bin zwar schon uralt und war meistens ziemlich angepasst, aber freue mich sehr über die nachwachsende Generation, ihren Mut und ihre Unbekümmertheit. Viel Glück für die Zukunft!
    Herzliche Grüße von Joachim aus Stade

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    • Mama streikt schreibt:

      Lieber Joachim, herzlichen Dank für Ihren Kommentar. Ich muss gestehen, dass ich ein Tränchen in den Augen hatte (aber nur ein kleines). Ich weiß nicht, ob meine Kinder irgendwann einmal auf mich stolz sind. Ich hoffe jedoch, dass die Liebe und Zuneigung zwischen uns immer bleiben wird. Ich bin ähnlich wie Sie, sehr angepasst gewesen, bis ich Mutter geworden bin und es war ein langer Prozess, mich das zu trauen, was ich jetzt tue. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute und sende Ihnen viele Grüße zurück, Claire Funke

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  4. Dr. Berenfeld, Adolf schreibt:

    Ich bin fast 75 Jahre alt und gehöre also zu „alten“ Generation, die den Massochismus der Männer nach dem letzten Weltkrieg noch voll miterlebt hat. Aber schon damals, als junger Mann, hat mich die Überheblichkeit meiner Artgenossen immer geärgert. Ich bin der Meinung – und war das schon immer -, dass eine Frau für die Kindererziehung bezahlt werden sollte.
    Und wenn dies der Mann übernimmt, ebenso. Das würde auch die Altersarmut der Frauen wenigstens etwas abmildern.
    Herzliche Grüße Adolf

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    • Mama streikt schreibt:

      Lieber Adolf, ich danke Ihnen herzlich für den Kommentar. Mir ist ganz wichtig, dass nicht nur Mütter ein Fürsorgegehalt bekommen, sondern natürlich auch Väter (je nach dem, wer den Hauptanteil leistet), oder beide anteilig, wenn es mit Erwerbsarbeit kombiniert wird und beide weniger arbeiten. Im Moment ist es ja immer noch so, dass die Fürsorgearbeit meistens Frauen leisten, was dann eben im Alter oft zur Armut führt (und nicht erst da, leider) und das darf nicht sein. Ich wünsch Ihnen alles Gute. Herzlichst, Claire Funke

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      • Sonja schreibt:

        Liebe Claire, das freut mich und es ist gar nicht eilig. Es soll Dich ja zum nachdenken anregen und dafür braucht man Ruhe und Zeit. Beantworte die Fragen wann immer Du Lust darauf hast. Liebe Grüße Sonja

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  5. Mein glutenfreier Backofen - Einfache glutenfreie Rezepte by Stephfanny schreibt:

    Hallo Claire, ich bin durch Sonja und das gleichzeitig überreichte Jahreszeitenstöckchen auf dich und deinen Blog aufmerksam geworden. Mir gefällt sehr gut, was und wie du schreibst!
    Daher habe ich dich einfach mal in meinem Beitrag erwähnt (ich hoffe, das ist iO für dich?). Wenn du magst, kannst du ja mal hier ( http://meinglutenfreierbackofen.blog/2017/12/29/ein-jahreszeitenstoeckchen-von-sonja/ ) schauen, LG und alles Gute für 2018, Stephanie

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  6. nannyanny schreibt:

    Hat dies auf Nanny Anny rebloggt und kommentierte:
    Guten morgen!

    Mich nimmt ja dieses neue Psychiatriegesetz in Bayern richtig mit und so bin ich auch auf diesen Artikel von Claire gestossen, deren Arbeit für die Carearbeit sehr schätze und erlaube mir das zu Rebloggen. Weil man darüber sprechen muss und auch das Bild von Erziehung und Erziehungsaufgaben überdacht werden sollte hin zu Gleichberechtigung. Der Vater hat schliesslich die gleiche Verantwortung, wie die Mutter.

    Unglaublich, wie Rückständig man heute noch teilweise ist. Gerade Mütter laufen immer am Anschlag, vor allem alleinerziehende Mütter.

    Lesenswerter Beitrag von einer starken Frau!

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