Ich habe mich getraut! Wo ist der Jesus!?

Mein Leben als Kind war geprägt von ständiger Veränderung und großen Umbrüchen. Für mich fühlt es sich heute so an, dass so etwas wie Nestwärme nur wenig vorhanden war. Geborgenheit kam eher weniger von meinen Eltern, sondern mehr von anderen Menschen wie z. B. Nachbarn, meiner Tante Mucki (sie war nicht meine richtige Tante und ich habe hier im Blog bereits 2 Mal über sie geschrieben) und teilweise noch von meiner Oma. Ich kann mich nicht erinnern, mit meiner Mutter oder meinem Vater geschmust zu haben, als ich klein war. Da sich meine Eltern noch vor meinem 2. Geburtstag haben scheiden lassen, sind da bei mir keine Erinnerungen an meinen Vater. Der Kontakt zu ihm brach vollständig ab für fast 10 Jahre. Dies hatte zur Folge, dass wir nie mehr eine Beziehung aufbauen konnten. Als ich in der 3. Klasse war, hat meine Mutter ein neues Leben in einer ganz anderen Stadt angefangen, erst einmal ohne mich. Ich lebte dann knapp 2 Jahre bei meiner hochgradig narzisstischen Oma (deshalb gab es auch hier nur teilweise Geborgenheit bzw. nur an Bedingungen geknüpfte). In der Pubertät entschied sie meine Mutter nochmals für ein anderes Leben, auch ohne mich, und das dann wieder einige 100 Kilometer entfernt von unserem damaligen zu Hause. Ich war allein auf mich gestellt in der  Pubertät und mit meinem Schulabschluss, im Alter von 16 Jahren.

Die Beschreibung meiner Kindheit, die völlig außer der damaligen Norm lag und sicherlich auch außer der heutigen liegt, ist keine Abrechnung mit meinen Eltern und Großeltern. Sie skizziert das, was auf mich wesentlich Einfluss hatte und ich habe ein Recht auf meine Geschichte, ohne dass ich heute noch jemanden damit verurteilen möchte. Ich bin geworden, was ich bin, durch meine Erfahrungen und dem, was ich daraus gemacht habe. Manchmal muss es vielleicht reichen damit zufrieden zu sein, das Leben geschenkt bekommen zu haben, auch wenn es nicht immer ein Geschenk war. Nun an dem Gedanken arbeite ich noch. Alles ist im Fluss. Folgendes Zitat von Hilde Domin beschreibt ganz gut, wie mein Leben bis jetzt war:

 „Ich setzte meinen Fuß in die Luft und sie trug.“

Ich konnte in meinem Leben, nie auf etwas aufbauen. Die Luft, die mich trug, war in dem Sinn, meine Fähigkeiten, die ich mitgebracht hatte in dieses Leben. Eine meiner großen Stärken, ist heute etwas aus der Mode gekommen. Ich bin ein sehr strukturierter Mensch und liebe zum Beispiel die Jahreszeiten, die uns einen bestimmten Rhythmus vorgeben im Leben. Die Struktur, die mir so viel Sicherheit gegeben hat (als Kind und auch als alleinerziehende Mutter), wurde gleichzeitig irgendwie zur Falle, weil sie meine Kreativität vollkommen überdeckt hat. Mit Anfang 30 habe ich meine Liebe für Farben und das Malen entdeckt. Da habe ich das erste Mal in meinem Leben gespürt, dass ich eine große schöpferische Kraft in mir trage. Meine Kreativität, habe ich in den letzten Jahren erfahren, ist eine große Energiequelle für mich, daher wollte ich sie in mein Leben integrieren, was als alleinerziehende, berufstätige Mama wirklich oft schwierig war und bis heute ist.

Den ersten Blogartikel habe ich im Juni 2017 veröffentlicht, genau ein Jahr, nachdem ich den Blog eingerichtet hatte. Es hat also 12 Monte gedauert, bis ich mich getraut hatte über mein Leben und das, was mir darin wichtig ist, zu schreiben und damit auch meine Kreativität auszuleben. Der erste, der mein Talent fürs Schreiben erkannt hat, war der Vater von meinem Kleinen (3), da war ich Ende 30. Unter Umständen hätten meine Eltern das auch erkennen können, aber dafür hätten wir eine viel engere Beziehung zueinander haben müssen. Es ist so wichtig, erkannt zu werden im Leben und ich hoffe sehr, dass ich fähig bin, meinen Kindern dieses Gefühl zu vermitteln.

Eine weitere Fähigkeit, die mir durch die Beziehung zum Vater von meinem Kleinen bewusst geworden ist, weil er sie benannt hat, ist der Sinn für das „Atmosphärische“, sozusagen für das „Zwischen“ zwischen den Menschen. Ich habe schon immer viele Reize aufgenommen, was ich aber  als Nachteil empfunden habe und zu Hause als „empfindlich sein“ eher negativ bewertet wurde. Daher habe ich nie gelernt mit dieser Fähigkeit, das „Zwischen“ wahrzunehmen, umzugehen und es als Stärke  einzusetzen. Mein Aha-Erlebnis diesbezüglich hatte ich in einer schweren Krise mit Anfang 40. Durch Zufall bin ich im Internet auf das Buch von Elaine Aron „Sind Sie hochsensibel?“ aufmerksam geworden. Mit diesem Buch habe ich die positive Bestätigung für meine Sensibilität „nachgeholt“, die in Kindertagen gefehlt hat. Mir wurde hier bewusst, dass ich eine große Stärke habe und es meine Aufgabe ist zu lernen, sie gezielt einzusetzen. Ob ich diese Sensibilität für das „Zwischen“ bereits mitgebracht habe auf diese Welt oder ob ich sie als Überlebensmechanismus entwickelt habe, weil ich als Kind durch viele fremde Hände gereicht wurde, weiß ich nicht. Jedenfalls bin ich ein großes Stück „ganzer“ und „heiler“ geworden, dadurch, dass ich meine Sensibilität nicht mehr als „empfindlich sein“ abwerte, sondern als Stärke in meine Persönlichkeit integriert habe. Dies kommt in hohem Maß meinen Kindern zu Gute, aber auch allen anderen Menschen, mit denen ich zusammen bin im privaten und beruflichen Umfeld.

Möglicherweise leide ich aufgrund meiner Erfahrungen aus meiner Kindheit besonders, wenn ich das Gefühl habe, ich bin nicht „dran“ an meinen Jungs (3 und 10 Jahre alt). Ich weiß heute, auch durch meine gestalttherapeutische Ausbildung, wie wichtig es ist für Kinder, positiv gespiegelt zu werden von der Umwelt. Es gibt einige Gründe, warum ich zeitweise innerlich meilenweit entfernt bin von meinen Kindern. Am schwierigsten finde ich die fehlende finanzielle Absicherung durch immerwährende befristete Arbeitsverträge (der letzte ist im Oktober 2017 ausgelaufen). Aufgrund des geänderten Unterhaltsrecht im Jahr 2008 ist es mir (theoretisch) zuzumuten ganztags arbeiten zu gehen ab dem 3. Lebensjahr des Kindes (nicht damit einhergegangen ist allerdings das Recht auf einen Arbeitsplatz als Alleinerziehende!). Dies war mir persönlich jedoch weder beim ersten, noch beim zweiten Kind möglich und ich bin überzeugt, dass es für meine Kinder auch nicht gut gewesen wäre. Wenn ich viele finanzielle Kämpfe auszufechten habe, wirkt sich das nicht positiv auf unsere Familie aus. Es gibt zig Studien, die beklagen, dass so viele Kinder in Armut leben in Deutschland. Das diese Kinder arme Eltern haben, die z. B. aufgrund des prekarisierten Arbeitsmarkt nicht genug verdienen, erscheint dabei aber nirgends oder es wird nur am Rande erwähnt. Keiner will, dass Kinder in Armut leben. Richtig so. Wenn Eltern nicht arm sind, sind es Kinder auch nicht! Kindererziehung ist KEINE Privatsache. Wahlfreiheit für Frauen was Familienarbeit angeht, haben wir erst erreicht, wenn sich Frauen frei entscheiden können, ob sie Vollzeit arbeiten gehen wollen, oder ob sie zu Hause bleiben wollen oder in Teilzeit arbeiten gehen UND wenn dies OHNE finanzielle oder gesellschaftliche Einbußen einhergeht. Die Begleitung von Kindern als Eltern ist Arbeit, die entlohnt werden muss und auf gar keinen Fall in die Armut führen darf (hier geht es zu meiner Petition für ein Fürsorgegehalt).

Kinder zu erziehen bedeutet eine Beziehung zu gestalten und dies kann ich nur, wenn ich Zeit mit meinen Kindern verbringe, in der unsere Persönlichkeiten wirken können. Als Mutter sehe ich meine Aufgabe darin, die Persönlichkeit meiner Kinder zu erkennen.

In dieser Woche war in der Kirche die Adventsfeier vom Kindergarten. Als wir endlich abgehetzt auf der Kirchenbank saßen und alle mucksmäuschenstill waren, rief der mein Kleiner (3) laut durch die ganze Kirche: „Mama, wo ist der Jesus?“ Einige Augen rollten bei den Anwesenden, was mir aber egal war. Die vielen Menschen und Eindrücke auf solchen Veranstaltungen überfordern die Sinne von meinem Sohn, dass konnte ich jetzt schon öfters beobachten. Umso entspannender war es für mich, dass ich das erste Mal in 7 Jahren eine solche Veranstaltung nicht alleine besuchen musste, sondern dieses Mal von der Patentante vom Kleinen begleitet wurde. Was für eine Erleichterung! Mein Sohn braucht auf solchen Festen immer viel Begleitung von ihm vertrauten Menschen. Er ist dann nicht still, weil ihn die Reize überwältigen (so war ich und sein großer Bruder), sondern er ist laut und manchmal, wenn es gar nicht mehr geht, rüpelig (schupst dann z. B. Kinder). Als begleitende Mutter weiß ich, was mit meinem Sohn in solchen Situationen los ist, ich muss ihn nicht bewerten oder abwerten. Meine Aufgabe ist dann das bewusste Lenken seiner Energie und das ist in solchen Situationen Schwerstarbeit, die keiner sieht (okay, manchmal schimpfe ich auch).

Um eine in meinem Sinn gute Mutter sein zu können brauche ich ganz persönlich Zeit, die ich mit meinen Kindern verbringen kann. Ich benötige außerdem Zeit, die ich mit mir alleine verbringen kann um aufzutanken, ich brauche ein soziales Netz und ich muss einigermaßen finanziell abgesichert sein. Das es Menschen gibt, die den Bezug von Hartz-4 als finanzielle Absicherung ansehen, finde ich zynisch, denn es bedeutet keine Absicherung, sondern ein Leben am Existenzminimum.

 Dem „Zwischen“ zwischen uns Menschen in der Gesellschaft mehr Raum zu geben oder noch besser das „Zwischen“ als Grundlage unserer Gesellschaft anzuerkennen, könnte uns menschlich als Gesellschaft weit bringen. Bevor es aber so weit ist, müssen wir bei uns selbst anfangen und bewusst mit uns, unseren Gefühlen, sowie Beziehungen umgehen. Ich empfinde meinen eigenen schwierigen Prozess immer mehr als nach Hause kommen, in dem Sinne, dass ich bei mir ankomme als der Mensch, der ich bin. Passend dazu habe ich das Klavierstück von Martin Herzberg ausgesucht mit dem Titel: „Komm, komm nach Hause.“ Viel Spaß beim anhören!

 Was war Dein letzter großer Schritt auf dem Weg bei Dir anzukommen?

 

 

 

 

2 Gedanken zu “Ich habe mich getraut! Wo ist der Jesus!?

  1. Karin schreibt:

    Der letzte große Schritt um bei mir – dem Teil meiner Persönlichkeit der Mutter ist – anzukommen: Ich bin seit Juni 2017 wieder „nur zuhause“. Denn meine Jüngste (14J8M) braucht mich. Nach außen tough und – wenn ihre Kraft erschöpft ist – ruppig – so ist sie doch in Wirklichkeit sehr anlehnungsbedürftig und dankbar für das selber zubereitete Essen, das Begleiten durch die Matheaufgaben – oder eben auch einfach für das Gefühl „da ist jemand, dem bin ich wichtig; da ist jemand, der ist sofort greifbar“.

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    • Mama streikt schreibt:

      Liebe Karin,
      es ist schön, dass Du Dir die Zeit nehmen kannst für Deine Tochter. Die Kinderzeit kann man einfach nicht nachholen. Care-Arbeit (Kindererziehung und die Pflege von Angehörigen) ist Arbeit! Daher ist es ganz wichtig, dass wir das auch so benennen. Du leistest Familienarbeit, unbezahlt mit dem Risiko finanziell nicht versorgt zu sein, wenn die Ehe schief geht oder Dein Partner stirbt. Du bist nicht somit nicht „nur zu Hause“, sondern Du arbeitest (und das auch noch ohne einen finanziellen Ausgleich)!

      Herzlichst, Claire Funke

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