Ich mache in den nächsten Tagen einen Jahresrückblick für 2017 mit Artikeln aus dem #Archiv. Wisst Ihr noch, mit was sich der CDU-Generalsekretär Peter Tauber einen riesigen Shitstorm eingebrockt hat? Ich habe darüber geschrieben im Juli 2017:
Gestern waren meine Kinder im Garten. Der Große musste was oben in der Wohnung holen, also habe ich mich auf den Balkon gestellt und nachgesehen, was Ben in der Zwischenzeit im Garten treibt. Da ich ihn nicht gesehen habe rief ich nach ihm. Das Gebüsch war plötzlich der Sprache mächtig geworden und antwortete: „Is bin im Geheimvasteeeck.“ Okay, dachte ich und fragte natürlich was er dort im Geheimversteck im Gebüsch macht. Er antwortete: „Is mach meine AAAbeit!“ Aha!
Ich musste schmunzeln. Dies ist natürlich ein Satz, den meine Söhne von mir schon hundertfach gehört haben in vielen Varianten: „Nein, ich habe jetzt keine Zeit, ich muss jetzt meine Arbeit machen“ – oder auch so: „Du musst warten. Ich muss jetzt erst meine Arbeit fertigmachen“ – oder auch in der genervten Variante: „Lass mich jetzt endlich mal meine Arbeit in Ruhe machen.“ Es gäbe noch unzählige Varianten, aber ich will auch niemanden, der das hier liest langweilen.
Ich tue eigentlich ständig irgendwas und das nicht aus Langeweile, sondern, weil es unablässig Dinge zu tun gibt wie z. B. Essen zubereiten, Waschen, Putzen, Kinder erziehen, Einkaufen, Streit schlichten, allgemeine Dinge regeln (tägliche Post, Überweisungen, Anrufe, Schule, Kindergarten, Besorgungen), ach ja, fast hätte ich es vergessen, meiner Erwerbsarbeit nachgehen, meine Ehrenämter ausfüllen (gerichtlich bestellte Betreuerin, VAMV-Kontaktstellenleiterin) und so weiter und sofort. Die Liste, wenn ich alles aufschreiben würden, wäre ganz sicher sehr, sehr lang, aber auch damit will ich die Geduld der Leser/innen nicht zu sehr strapazieren.
Peter Tauber (CDU-Generalsekretär) hat sich diese Woche einen „ordentlichen Shitstorm“ eingebrockt mit der Aussage, dass ein User, hätte er „was ordentliches gelernt“ nicht 3 Minijobs bräuchte. Ich interpretiere nun einmal die Aussage von Hr. Tauber weiter. Ich denke, er meint, wenn der User etwas „ordentliches gelernt“ hätte, hätte der User eine „ordentliche Arbeit“ und bräuchte keine 3 Minijobs. Es gibt natürlich auch gelernte Fachkräfte, die einen Minijob ausüben. Darüber hat der CDU-Generalsekretär bei seiner Aussage wahrscheinlich nicht nachgedacht. Glaube ich zumindest.
Mir stellt sich schon lange die Frage: „Was ist eigentlich Arbeit?“ Ist Arbeit nur meine Erwerbsarbeit – zählt ein Minijob noch zur (ordentlichen) Erwerbsarbeit? Gehört mein Ehrenamt auch zur Arbeit oder ist das mein privates Vergnügen? Was ist mit Kindererziehung und Haushalt, ist das als Arbeit zu definieren oder ist es keine Arbeit, weil ich dafür kein Geld bekomme?
Allgemeingültig kann ich die Frage natürlich nicht beantworten. Ich kann sie nur anhand meiner persönlichen Beobachtungen beantworten. Ich empfinde es so, dass nur Erwerbsarbeit als Arbeit in unserer Gesellschaft anerkannt ist. Alles andere an Arbeit darum herum ist keine Arbeit, sondern ganz grob ausgedrückt die eigene Entscheidung und damit reine Privatsache.
Wie viel Arbeit es macht, ein Kind zu erziehen, oder in der Steigerung, es alleine zu erziehen, können wirklich nur die nachvollziehen, die Kinder haben und erziehen. Nicht alle, die Kinder haben, erziehen sie auch – leider, aber das ist wieder ein anderes Thema. Mit ganz viel Einfühlungsvermögen können vielleicht auch die, die keine Kinder haben, nachvollziehen, wie viel harte Arbeit es ist, ein Kleinkind jeden Tag aufs Neue zu motivieren, die Zähne zu putzen, die Haare zu kämmen, Regeln einzuhalten, Werte hoch zu halten usw. – jeden Tag geduldig, möglichst ohne Schreierei von beiden Seiten.
In die Körperpflegekämpfe (keine olympische Disziplin) bei uns in der Früh um 6:45 Uhr gebe ich gerne einen kleinen unvollständigen Einblick:
„Is will nis Zähne putzen. Doch du musst aber. Nein! Bitte mach den Mund auf.“
Als Antwort darauf wird der Kopf heftig geschüttelt und der Mund ganz fest zugepresst.
„Mach JETZT den Mund auf!“
Kind schaut abwartend, was noch kommt von meiner Seite.
„Du darfst zuerst Zähne putzen und dann darf ich deine Zähne putzen.“
Kind schaut immer noch, wartet, überlegt und macht dann ganz langsam den Mund auf. Yes! Geschafft – zumindest das Zähne putzen. Und weiter geht’s.
„Komm wir müssen noch Haare kämmen.“
Kind läuft weg. Ich renne genervt hinterher und schimpfe: „Ich muss jetzt auf die Arbeit, komm her zum Haare kämmen. Nein, is will nis kehren auf dem Kopf!“ Ich atme tief durch, gebe mich geschlagen. Gott sei Dank habe ich kein Mädchen mit langen Haaren.
Und weiter geht es im Galopp, bis mein 2 Jahre alter Ben endlich gewaschen, gewickelt und angezogen ist, damit wir um 7.15 Uhr das Haus verlassen können, so dass ich um 8.00 Uhr das Arbeiten anfangen kann in der nächst größeren, 24 Kilometer weit entfernten Stadt. Die Kämpfe mit dem 9-jährigen Großen erspare ich dem Leser/innen, weil sie oft keine komische Seite mehr haben, dafür sind sie nicht mehr so häufig. Auch gut.
Ich denke wir brauchen gesellschaftlich und politisch eine neue Definition von Arbeit und Leistung. Kindererziehung, sowie die Pflege von kranken oder behinderten Kindern und Angehörigen bedeutet 24 Stunden und das 365 Tage im Jahr verantwortlich zu sein. Mit der Verantwortung geht viel Arbeit einher, die gegebenenfalls bzw. heute überwiegend neben der Erwerbsarbeit erledigt werden muss.
Wenn Kindererziehung und die Pflege von kranken Kindern und Angehörigen als Arbeit mit einem Fürsorgegehalt anerkannt wird, wird sich dies auch positiv auf den Verdienst der Care-Berufe (Krankenpfleger/innen, Erzieher/innen, Hebammen, Hauswirt-schafter/innen usw.) auswirken.
Fähigkeiten wie Einfühlungsvermögen, Geduld und die Liebe zu Menschen, stehen hoch im Kurs, werden aber schlecht oder gar nicht bezahlt in den Care-Berufen und in der privaten Care-Arbeit, weil diese Eigenschaften als selbstverständlich angesehen werden. Erst wenn Eltern, eine Pflegekraft oder ein Erzieher kein Einfühlungsvermögen haben, wird uns bewusst, wie viel es Wert ist, wenn es da ist, dass Einfühlungsvermögen, die Geduld oder die Liebe zum Beruf, den Kindern, den behinderten und kranken Menschen und dann ist das „Geschrei“ in der Gesellschaft groß. Richtig so, aber wir brauchen außer „Geschrei“ vor allem eine gesellschaftliche Veränderung und das JETZT!
Mit meiner Onlinepetition zum Fürsorgegehalt mit allen Sozialleistungen möchte ich erreichen, dass die private Care-Arbeit als Arbeit anerkannt wird.
Man kann sich Weiten und Möglichkeiten im Leben
gar nicht unerschöpflich genug denken.
(Rainer Maria Rilke)
Möglichkeiten schaffen – JETZT! Vielleicht auch mit Eurer Unterschrift?
Wie stehst Du zu der Frage: Was ist eigentlich Arbeit? Schreibe gerne einen Kommentar.