Pralinen zum Absschied (#Archiv)

In dieser Woche, war eine besondere Woche, denn ich hatte meinen letzten Arbeitstag. Eine syrische Teilnehmerin sagte sinngemäß zu mir beim Abschied in gebrochenem Deutsch, dass sie mich sehr mag und mich vermissen wird. Das war berührend für mich, denn sie war immer sehr zurückhaltend, daher hatte ich so eine Aussage von ihr gar nicht erwartet.

Im vergangenen letzten Jahr habe ich mit Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und aus Afghanistan gearbeitet. Ich bin multikulturell aufgewachsen, in meinem Freundes-, Bekannten und Kollegenkreis gab es immer viele Nationen, daher hatte ich keine großen Berührungsängste als mir diese Aufgabe anvertraut wurde. Ich sehe, was uns verbindet, nämlich das wir alle Menschen sind, was einen sehr hohen Wert für mich darstellt.

Die letzte Gruppe von Flüchtlingen, die ich betreut habe, waren alle Mütter und da ich selbst 2-fache Mutter bin, hat uns gleich auf Anhieb viel verbunden. Ich bin ein Mensch, der gerne Humor einfließen lässt in seine Arbeit und mit diesen Frauen war es besonders gut möglich einen Spaß zu machen. Eine Teilnehmerin berichtete mir, dass ihr Mann gesagt hat, dass die deutschen Frauen viel schöner seien und schlanker. Das ärgerte sie verständlicherweise, vor allem vor dem Hintergrund, dass sie erst 4 Monate zuvor ein Kind entbunden hatte. Ich habe ihr auf Englisch gesagt (das ich einmal Beratungsgespräche in einer anderen Sprache als Deutsch führe, hätte ich auch nie gedacht), dass ihr Mann dankbar sein kann für einen gesunden Sohn und eine gesunde Ehefrau und das sie ihren Mann in solchen Situationen „Blödmann“ nennen darf. Ihre Augen wurden groß und ich musste den Frauen natürlich erklären in einem Kauderwelsch aus Englisch, Deutsch und Arabisch (jawohl, ich habe etwas Arabisch gelernt), was ein Blödmann ist. Die Frauen waren hellauf begeistert, dass sie fortan schimpfen konnten mit ihren Ehemännern ohne das diese es verstehen. Das war ein Spaß, wir haben herzhaft gelacht. Selten war ein Wort so schnell im Vokabelheft notiert.

Ich arbeite seit 2008 in der Erwachsenenbildung mit Langzeitarbeitslosen bei unterschiedlichen Trägern in immer befristeten Anstellungsverhältnissen. In meinen Beratungen hat mich in den letzten 9 Jahren ein Zitat von Martin Buber begleitet:

„Das Ich des Menschen wächst am Du.“

Wenn ich zurückblicke, kann ich sagen, dass ich Stolz darauf bin, dass ich dieses Zitat meistens gelebt habe während meiner Tätigkeit mit den vielen Menschen, die ich beraten, begleitet, unterrichtet und angeleitet habe.

Es hat in den letzten Jahren viele Veränderungen gegeben im Bereich der Erwachsenenbildung. Eine davon ist die, dass in der überwiegenden Anzahl der Stellenausschreibungen mittlerweile ausschließlich Sozialpädagogen und Psychologen gesucht werden. Mitarbeiter wie ich, die mit Ausbildungsberechtigung in diesem Bereich gearbeitet haben, finden immer schwieriger Arbeitsstellen. Dazu kommt, dass meine langjährigen Ausbildungen in NLP und Gestalttherapie nie anerkannt wurden, daher denke ich, ist für mich und meinen Selbstwert gesünder, mir eine Arbeitsstelle zu suchen, bei der ein fehlender Studienabschluss mich nicht immer in eine schwache Position bringt. Vor einem guten Jahr hätte ich niemals für möglich gehalten, dass ich jemals diese Entscheidung treffen kann und zu meiner großen Überraschung konnte ich das Auslaufen meines jetzigen Arbeitsvertrags tatsächlich als Chance für etwas Neues sehen.

Was mir bleibt von meiner Tätigkeit in der Erwachsenenbildung sind die Geschichten der Menschen, die mir anvertraut waren, von denen ich viel gelernt habe und die mich auch teilweise sehr berührt haben. Einige davon erzähle ich hier in Kurzform (* die Namen habe ich natürlich geändert, denn ich halte mich selbstverständlich an meine Schweigepflicht):

Richard und sein unvorhergesehener Absturz von ganz oben

Richard kam zu mir in die Beratung, nachdem er seine ganze berufliche Existenz verloren hatte. Er war ausgebildet als Schreinermeister und hatte einen sehr gut gehenden Betrieb. Aufgrund von einem Unfall konnte er monatelang nicht arbeiten und wie das so ist in einem Handwerksbetrieb, in dem alle auf den Chef fixiert sind, ging es durch die Krankheit von Richard zuerst mit dem Betrieb bergab und dann mit der Ehe. Die Folge war exzessiver Alkoholgenuss und schwere Depressionen. Ob die Geschichte von Richard gut ausgegangen ist, weiß ich leider nicht. Mich hat sehr beeindruckt wie er gekämpft hat, wie er Arbeit suchte, Therapie machte, sowie weiterhin für seine Kinder ein guter Vater sein wollte. Das Leben von Richard hat mir ganz klar gemacht, dass wir ALLE, auch wenn wir noch so gut ausgebildet sind, nur 12 Monate von Hartz-4 entfernt sind.

Adam und sein Weg mit großen Zielen

Adam war ein junger Mann Anfang 20, den ich nur als Urlaubsvertretung kennen gelernt habe. Er berichtete mir aus seinem Leben, davon, dass er zu den Eltern keinen Kontakt hatte, zwei Jahre zuvor psychisch zusammengebrochen war, seine Erzieherausbildung daher abbrechen musste und nun beruflich wieder durchstarten wollte mit einer Ausbildung zum Physiotherapeut. In persönlicher Hinsicht war ihm wichtig, auf eine Geschlechtsumwandlung hinzuarbeiten in den nächsten Jahren, denn Adam, ein junger Mann, wollte schon immer eine Frau sein. Meine Aufgabe lag unter anderem darin, mit Adam zu erarbeiten, dass er Prioritäten setzen muss. Er konnte nicht gleichzeitig beruflich neu durchstarten und eine Geschlechtsumwandlung in die Wege leiten, dass hätte gleich wieder zu einem psychischen Zusammenbruch geführt. Des Weiteren hatte er schon einen Schulplatz an einer privaten Physiotherapie-Schule. Da er hierfür aber Schulgebühren bezahlen musste, habe ich ihn angehalten, zu versuchen, einen Platz an einer staatlichen Physiotherapie-Schule zu bekommen, da diese kein Schulgeld verlangen. Es war toll, wie engagiert Adam war und wie dankbar für jede Anregung von mir.

Daniela, von der Textilmaschinenführerin zur Altenpflegerin in Lichtgeschwindigkeit

Danielas Geschichte hat mich auch sehr bewegt. Sie kam zu mir, da sie sich beruflich neu orientieren musste. Der Arbeitgeber, bei dem sie ihre Ausbildung als Textilmaschinenführerin gemacht hatte und für den sie 25 Jahre arbeitete, musste Insolvenz anmelden und der Betrieb wurde geschlossen. Daniela war für viele berufliche Wege offen und da ich zu der Zeit ein Projekt betreut habe, in dem Menschen beraten wurden, die sich für eine Ausbildung oder Tätigkeit in der Pflege interessieren, habe ich sie diesbezüglich gecoacht. Man kann schon fast sagen, dass sich die ehemalige Textilmaschinenführerin in Lichtgeschwindigkeit, innerhalb von knapp 6 Monaten beruflich komplett neu orientiert hat und tatsächlich eine Ausbildung zur Altenpflegehelferin absolvierte. Unter dem Gesichtspunkt, dass Daniela 25 Jahre ein und denselben Job gemacht hat, fand ich es absolut bemerkenswert, dass sie so schnell beruflich umdenken konnte in einen ganz anderen Bereich. Daniela war immer offen und für jede Anregung dankbar, sie hat zum Schluss mitgeteilt, dass sie diesen Weg nie hätte alleine gehen können und das sie unendlich froh war, an diesem Coaching teilgenommen zu haben.

Erika, ein Herz von Mensch und fast schon eine Zauberin

Erika wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Sie war Näherin, hat unheimlich genau und exakt gearbeitet, war unglaublich kreativ, konnte aus Nichts tolle Sachen zaubern und war noch dazu herzenswarm und humorvoll. Wir haben in der Nähwerkstatt, die ich damals betreut habe als fachliche Anleiterin, toll zusammengearbeitet. Sie war hier die Vorarbeiterin und gleichzeitig das Herz des Teams. Erika hatte leider große gesundheitliche Probleme mit ihrer Wirbelsäule und konnte nicht durchgehend Stehen oder Sitzen. Daher war die Arbeit bei mir in der Nähwerkstatt ideal, weil sie wechseln konnte zwischen Arbeiten im Sitzen an der Nähmaschine und Arbeiten im Stehen am Zuschneidetisch. Da fast die ganze deutsche Textilindustrie nach China, Bangladesch oder Indien „ausgewandert“ ist, tun sich Frauen wie Erika heute unheimlich schwer eine Stelle zu finden. Erika hat trotz ihres großen Talent keine Stelle gefunden am 1. Arbeitsmarkt, was wirklich sehr schade war. Ein Vorbild war sie umso mehr, denn sie hat nie den Mut und die Lebensfreude verloren. Des Weiteren kümmerte sie sich liebevoll um ihre kranken Eltern. Im Prinzip kann man sagen, war sie hier sowieso zu 100 % ausgelastet mit der Pflege und damit gar nicht arbeitslos.

Die überwiegende Anzahl der Langzeitarbeitslosen will arbeiten, dass habe ich in den vergangenen Jahren erfahren. Menschen, die nicht arbeiten wollen, hat es in jeder Gesellschaft zu allen Zeiten gegeben und sie sind für mich nicht der Rede wert. Meine Energie hat sich immer auf die Menschen konzentriert, die ihr Leben verändern wollten.

Diesen Blogartikel widme ich allen meinen Teilnehmern, die ich in 9 Jahren begleitet habe. Ich hoffe sehr, dass er etwas dazu beiträgt, die Vorurteile über Arbeitslose zu entkräften und zugleich zeigt, dass wir unser Leben nie zu hundert Prozent selbst in der Hand haben. Ein bisschen Glück gehört auch dazu und das wünsche ich allen, die das hier lesen.

Im Soundtrack zu dem Film Forrest Gump, ist eine grundsätzlich positive Grundstimmung zu hören und im Hintergrund schwingt Melancholie mit. Mein Herz ist ähnlich zweigeteilt, etwas traurig wegen dem Abschied und auch neugierig auf das Neue, was kommen mag. Forrest Gump hat im Film meinen momentanen Herzenszustand wie folgt beschrieben:

Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man kriegt.

(Forrest Gump im Film Forrest Gump)

 

Wie würdest Du im Moment Deinen Herzenszustand beschreiben? Hinterlasse mir gerne einen Kommentar dazu.

 

 

5 Gedanken zu “Pralinen zum Absschied (#Archiv)

  1. madameflamusse schreibt:

    Berührt mich sehr dein Beitrag. Ich kenne das mit der Ausbildung die nicht wirklich anerkannt wird, mir geht es da sehr ähnlich und ja leider werden dort überall nur noch Sozialpädagogen usw. genommen – da zählt auch die Erfahrung nichts. In manchen Bereichen sehe ich das sehr kritisch.
    Es gibt zuviele die dieses Glück nicht haben und keinen Platz finden in unseren Systemen… ich zähle mich selbst auch dazu. Und auch wenn man im außen stark und positiv wahrgenommen wird, ist es innen leider ganz oft gar nicht so.

    Gefällt 1 Person

    • Mama streikt schreibt:

      Liebe Madameflamusse,

      herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Meine Erfahrung in meiner eigenen Berufsbiographie, aber auch durch die Beratung von ganz vielen Langzeitarbeitslosen ist die, dass heute am Arbeitsmarkt sehr schnell aussortiert wird. Es zählt alleine die Qualifikation, die auf dem Papier steht. Menschliche Belange oder Qualitäten treten bei der Personalauswahl leider immer mehr in den Hintergrund. Das ist sehr bedauernswert und es berührt auch mich sehr, dass Du davon, ähnlich wie ich, betroffen bist. Ich versuche schon, vor allem mit meinen Blogartikeln, mein Innerstes nach Außen zu tragen, damit dieses Bild der starken Frau, die ich sicherlich streckenweise bin, aber nicht immer, mehr Facetten bekommt. Ich wünsch Dir ganz viel Kraft.

      Herzliche Grüße, Claire

      Gefällt 1 Person

  2. mamamamakind schreibt:

    Liebe Claire,

    vielen Dank für den interessanten Beitrag. Ich stelle es mir sehr aufregend vor, mit so vielen verschiedenen Leuten zu tun zu haben und sich immer wieder neu auf andere einzustellen.

    Einige Formulierungen im Abschnitt über „Adam“ sind mir beim Lesen etwas sauer aufgestoßen, und da ich dich als offenen und empathischen Menschen wahrnehme, möchte ich dich darauf hinweisen, dass sich davon Personen verletzt fühlen könnten, auch wenn das nicht das eigentliche Thema deines Artikels ist und auch ganz sicher nicht deine Intention. Konkret geht es um die Formulierung „ist ein Mann“ / „möchte eine Frau werden“ und „Geschlechtsumwandlung“. Viele trans* Personen (eigentlich alle, die ich kenne, aber ich weiß natürlich nicht, ob es grundsätzlich für alle gilt) fühlen sich von solchen Formulierungen verletzt, da sie ihre Geschlechtsidentität (in „Adams“ Fall wäre das „weiblich“) schon immer haben und diese sich nicht ändert oder umgewandelt wird. Ihnen wurde bei der Geburt aufgrund körperlicher Merkmale ein falsches Geschlecht auf dem Papier zugewiesen. Ich fand für mich was Formulierungen zu diesem Thema angeht einen Artikel von Tomi sehr hilfreich (https://tomirhizomique.wordpress.com/2017/08/03/wundersame-wandlungen/).

    Liebe Grüße
    K.

    Gefällt 1 Person

    • Mama streikt schreibt:

      Liebe K.,

      vielen Dank für Deinen Kommentar. In der Erwachsenenbildung hat man es tatsächlich mit sehr viel verschiedenen Menschen zu tun mit den unterschiedlichsten Problemlagen. An den Formulierungen in meinem Text über Adam, kann man sehen, dass dies das erste Mal war, dass ich einen Teilnehmer oder bzw. in diesem Fall dann Teilnehmerin hatte, die mit mir offen über eine gewünschte Geschlechtsumwandlung gesprochen hat. Daher kommt im Text meine in dieser Hinsicht wenig reflektierte Bezeichnung des Geschlechts. Ich denke jedoch, dass man, wie Du auch geschrieben hast, im ganzen Text sieht, dass ich für alle Problemlagen meiner Teilnehmer offen war und immer bereit bin, ganzheitlich zu denken. Man kann ja keinen in beruflichen Belangen beraten, wenn man das Privatleben nicht mit einbezieht. Ich lasse daher trotz Deiner berechtigten Kritik den Text, wie er ist. Zeigt er doch, dass ich offen bin, aber eben auch nur ein Mensch und nicht in jedem Bereich ein Spezialist. Verletzen wollte ich mit meiner nicht korrekten Formulierung ganz bestimmt niemanden.

      Herzliche Grüße, Claire

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