Quasi arm aus (Nächsten)Liebe? Wie es wohl wäre, wenn alle Frauen ins All fliegen?

Im Rahmen des Weltfrauentag am 08.03.18 habe ich zum Netzprotest aufgerufen unter dem Hashtag #carearbeitmusssichtbarwerden, denn 80 % der privaten, ehrenamtlichen und professionellen Care-Arbeit wird von Frauen erledigt. Fürsorgearbeit ist sozusagen weiblich. Daher werde ich in diesem Beitrag fast nur von Frauen und Müttern sprechen. Männer sind eingeladen sich dennoch angesprochen zu fühlen. Das Care-Arbeit den Stellenwert bekommt, der ihr zusteht, daran sollten Frauen und Männer in gleichem Maß Interesse haben. Kein Mensch kann ohne Fürsorge leben! Sicher.

Professioneller Care-Bereich

Im professionellen Care-Bereich führen niedrige Löhne (im Gegensatz zu z.B. Löhnen in der Industrie) dazu, dass Vollzeitarbeit nicht vor Armut schützt, weder jetzt, noch im Alter. Vor allem wenn Kinder zu versorgen sind. Es werden 1,5 Gehälter benötigt, um nicht arm zu sein, wenn man ein Kind hat. Davon können Alleinerziehende nur träumen. Sie haben logischerweise nur ein Gehalt. Wenn sie dann in einem Beruf arbeiten, der schlecht bezahlt wird, ist die finanzielle Lage ganz schnell prekär.

An dieser Stelle wäre es wichtig zu betonen, dass die Frauen, die Care-Berufe für sich auswählen, nicht selbst schuld sind. Das ist die allgemeingültige Meinung. Die Frau hatte ja mehr oder weniger die Wahlmöglichkeit. Heute ist quasi jeder Beruf möglich und Frauen fliegen sogar ins All. Aber, was machen wir denn dann, wenn uns die Frauen mit dem Hinweis auf die ach so großen Wahlmöglichkeiten wirklich beim Wort nehmen? Wie wäre es wohl, wenn wir ohne die Krankenschwester, die Erzieherin, die Hebamme, die Hauswirtschafterin, die Reinigungskraft, auskommen müssten, weil die alle ins All fliegen, nur um nicht arm zu sein oder am Rande der Armut zu leben? Richtig, niemand arbeitet mehr diesen typischen Frauenberufen – am Ende müssen dann noch die Männer ran. Blöd. Es wäre also unter Umständen gut in Erwägung zu ziehen, dass diese Gesellschaft Frauen (und Männer) ganz dringend braucht, die sich für einen Care-Beruf entscheiden und sie dann natürlich auch ordentlich bezahlt werden müssen. Ich verzichte darauf, mich über die schlechten Arbeitsbedingungen im professionellen Care-Bereich auszulassen. Wer wirklich nicht weiß, wie schlecht die Umstände sind, gibt bitte in Twitter folgenden Hashtag ein: #twitternwierueddel. Hier werden Sie geholfen. Umfassend.

Privater Care-Bereich (Kindererziehung, Pflege von kranken Angehörigen und kranken Kindern)

Aufgrund unserer neoliberalen Wirtschaft sollen alle möglichst Vollzeit arbeiten gehen. Dies ist jedoch ganz schlecht vereinbar mit der Kindererziehung oder der Pflege von einem kranken Angehörigen. Egal, Erwerbsarbeit ist das einzige was zählt. Immer. Fürsorgearbeit ist Privatsache und wird, wie die Berufswahl als selbst gewähltes Leiden gewertet. Logisch? Unlogisch!

Wenn dann noch die Liebe ins Spiel kommt, wird es kompliziert. Wie immer. Die Tatsache, dass Frauen ihre Arbeit zu Hause oder im öffentlichen Care-Bereich aus Nächstenliebe oder Liebe tun, ist nicht von Vorteil für sie. Das Gegenteil ist der Fall. Liebe und Nächstenliebe sind unbezahlbar und deshalb wirkt sich das auch nicht positiv aus, auf die Gehälter im professionellen Care-Bereich. Eltern und pflegende Angehörige schauen sowieso in die Röhre, denn entweder schaffen sie Vollzeiterwerbsarbeit und Fürsorgearbeit unter einen Hut zu bekommen, oder sie sind halt  schlimmstenfalls arm, wenn kein erwerbstätiger Partner da ist. Ja, wo die (Nächsten)Liebe hinfällt, wächst kein Geld, äh Gras mehr.

Private Fürsorgearbeit ist Arbeit, die Zeit kostet. Gesellschaftlich müsste sie einen sehr hohen Stellenwert haben, denn was macht z. B. unser Rentensystem ohne neue Beitragszahler (Stichwort Generationenvertrag)? Wenn pflegende Angehörige keine Zeit mehr haben für die häusliche Pflege (z. B. weil sie ins All fliegen) wird das teuer für den Staat. Das Prinzip ambulant vor stationär funktioniert spätestens dann nicht mehr.  Ich möchte daher der wichtigen Frage nachgehen, wieviel die Arbeit von Eltern und pflegenden Angehörigen wert ist. Monetär.

In der Ausgabe 1/2012 vom „Wirbelwind“ (Familienmagazin von Jakoo) hat sich Frauke Oberländer-Garlichs in ihrem Beitrag „Was Mama verdienen müsste“, damit beschäftigt, was die private Care-Arbeit wert ist. Zitat aus dem Beitrag:

„Eine amerikanische Studie hat sogar festgestellt, dass eine Hausfrau mit Kindern nach ihren Jobmerkmalen und durchschnittlichen Arbeitszeiten ein Jahresgehalt von über 90.000 Euro erhalten müsste.“

Demgegenüber steht die weit verbreitete Meinung, dass Fürsorgearbeit keine Arbeit ist. Als Campact meine Petition zum Fürsorgegehalt beworben hat im Januar 2018 schrieb ein männlicher User in die Kommentare: „Ich bezahle doch einer Mutter eines gesunden 9-Jährigen nicht ihre Couch-Vormittage.“ Eben. Fürsorgearbeit ist keine Arbeit und das bisschen Haushalt macht sich ganz von alleine. Die Kinder erziehen sich auch von selbst. Alles nur eine Frage der Organisation? Ha! Klar! Ruhepausen für die Mutter? Gestrichen. Schlimmstenfalls sogar auf Jahre bei Alleinerziehenden. Egal. Sind ja nur wir. Mütter.

Nun kommen wir noch zu den Menschen, die einen Angehörige pflegen. Hierzu möchte ich Gabriele Winker aus ihrem Buch „Care-Revolution“ (Seite 81 unten) zitieren:

„Für eine häusliche 24 Stunden-Pflege sind mindestens 3,5 Personalstellen erforderlich (inklusive Ausfallzeiten, Urlaub etc.). Die Kosten lägen bei etwa 10.000 Euro im Monat (ver.di 2011: 4). Das Pflegegeld liegt demgegenüber bei Pflegestufe 3 seit 1.1.2015 bei 728 Euro.

Aus diesen Zahlen geht hervor, wie wertvoll unsere Arbeit im privaten Care-Bereich ist. Gut und gerne dürfen wir uns täglich mehrmals auf die Schultern klopfen und sogar denken, dass wir der Gesellschaft mehrere Tausend Euro im Monat schenken. Einfach so. Zusätzlich wäre es mittlerweile dringend angebracht auf die Straße zu gehen und damit für bessere Bedingungen im gesamten Care-Bereich einzutreten. Alle. Jetzt. Oder zumindest am 08.03.2018 beim Netzprotest mitmachen auf Facebook, Twitter und Instagram unter #carearbeitmusssichtbarwerden. Des Weiteren freut sich die Petition zum Fürsorgegehalt (mehr als 16.000 mal unterschrieben), über neue Unterstützer. #carearbeitistarbeit

Diesen Beitrag habe ich im Übrigen im Beisein von meinem Kleinen geschrieben. Da er frisch operiert ist, geht er die ganze Woche nicht in die Kita und ich musste nun improvisieren, damit ich es extremalleinerziehend noch hinkriege den geplanten Beitrag für den Netzprotest zu schreiben. Dazwischen habe ich Puzzleteile sortiert, Rinderbrühe aufgesetzt, Grießnockerlteig angerührt, gespült (meine Spülmaschine, liebes Universum, ist immer noch kaputt), Tulpen gemalt, gefühlte 999.000 Fragen des Kleinen beantwortet und ca. 200.000 mal Geschwisterstreit geschlichtet (okay, ist ein bisschen übertrieben). Dabei bin ich gedanklich an der Frage hängengeblieben, wie man einem 10-jährigen großen Bruder beibringt, dass der kleine Bruder frisch operiert ist und daher nicht so wild getobt werden darf. Antwort habe ich darauf erst mal keine gefunden. Musste die Grießnockerl in die frisch gekochte Rinderbrühe machen, sonst hätte es kein Mittagessen gegeben. Soviel in groben Zügen zu meinen „unbezahlten Couch-Vormittagen.“

Auf die Straße. Jetzt. Alle. Damit Care-Arbeit sichtbar wird. #carearbeitmusssichtbarwerden #8M

P.S. In eigener Sache suche ich Aufträge. Nach 10-jähriger Berufstätigkeit in der Erwachsenenbildung bin ich ein erfahrener Begleiter bei beruflichen Veränderungsprozessen (im Menü, siehe unter: Beratungen). Des Weiteren übernehme ich gerne Projekte als Care-Aktivistin. Das Schreiben von Texten zu verschiedenen Themen gehört auch noch zu meinem Repertoire (z. B. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Care-Arbeit, Medizin, Arbeitsmarkt). Extremalleinerziehend würde ich am liebsten von zu Hause aus arbeiten, gerne auch festangestellt. Freiberuflich geht aber auch. Andere Arbeitsvariationen sind möglich. Schließlich bin ich flexibel. Meistens. Anfragen nehme ich gerne an unter: info@mamastreikt.de

19 Gedanken zu “Quasi arm aus (Nächsten)Liebe? Wie es wohl wäre, wenn alle Frauen ins All fliegen?

    • Mama streikt schreibt:

      Liebe Charlotte,

      sehr cool, dass Du einen Blogbeitrag geschrieben hast zum Thema Care-Arbeit und ihn auch hier verlinkt hast. Danke schön fürs mitmachen und fürs Verlinken im Beitrag.

      Ganz herzliche Grüße, Claire

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  1. Susanne Bregenzer schreibt:

    Liebe Claire, leider sehe ich deinen Beitrag viel zu spät!! ich hätte ja so gern mit protestiert!! Ich finde deine Arbeit und deine Ziele toll und der Beitrag ist sehr klar und Augenöffnend geschrieben!
    Danke,
    ganz liebe Grüße
    Susanne Bregenzer

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  2. Butz, Michael schreibt:

    Ich sehe bei Pflegearbeit und Betreuungsarbeit einen deutlichen Mangel an Anerkennung, Honorierung und Entlohnung. >Die Gehälter von Kindergärtnerinnen – KITA-Betreuerinen – Pädagogen aller Art, desweiteren die Gehälter von Altenpflegerinnen, Betreuerinnen im Hospiz; die Ausnahme-Erscheinungen der männlichen Arbeitskräfte möchte ich auch nicht unerwähnt lassen.
    In diesem Lohn-Bereich werden die Arbeitskräfte dazu genötigt, noch einen zweiten Job anzunehmen oder mit Arbeitslosengeld II ihre Grundsicherung zu erhalten.
    Die Politiker sind bei diesem Thema eine Enttäuschung. Sie verhindern höhere Lohnkosten für sich selbst und für die Industrie. Sie entscheiden sich gegen das „Allgemeinwohl“.
    Und wer sagt, „Deutschland geht es gut“, der ignoriert die Arbeiter in den unteren Lohngruppen; z.B. die Arbeiter in der Pflege- und Betreuungsarbeit.

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    • Mama streikt schreibt:

      Lieber Michael Butz,
      herzlichen Dank für Deinen Kommentar, dem ich voll und ganz zustimme. Die professionelle Care-Arbeit (Pflege, Erziehung, Hauswirtschaft, Reinigung usw.) wird so schlecht bezahlt, weil die private Care-Arbeit (Kindererziehung und Pflege von Angehörigen) unsichtbar gemacht wird und abgewertet wird. Da muss sich ganz dringend etwas ändern. Wenn die private Care-Arbeit aufgewertet wird, wird sich das auch positiv auf die professionelle Care-Arbeit auswirken (Anerkennung, Entlohnung).
      Herzliche Grüße, Claire Funke

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  3. Paraiba schreibt:

    Dass ich selber schuld an meiner Altersarmut sein werde liegt leider daran, dass gesellschaftlich die Pflege von Angehörigen kaum Anerkennung und eher als Luxus denn als Notwendigkeit angesehen wird. Der Pflegenotstand in Krankenhäusern und Pflegeheimen rückt langsam in den Fokus der Gesellschaft; Politiker verkennen den Ernst der Lage. Es werden zwar Mittel zur Entlastung pflegender Angehöriger bereitgestellt, aber es gibt leider keine bedarfsorientierten Angebote bzw. die administrativen Hürden sind derart hoch, dass sie in der Praxis nicht erfüllt werden können (z. B. Haushaltshilfen bei Pflegenden). Die Vorsorge zur Altersversorgung pflegender Angehöriger hat bestenfalls einen „Feigenblattcharakter“.
    Dabei bin ich keine „Mama“, sondern ein Sohn, der seit etwa 15 Jahren seine Mutter pflegt – inzwischen mit Pflegegrad 5 mit Demenz. Aber da bin ich (als Mann) nicht kleinlich – das ist meine „feminine Seite“.

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    • Mama streikt schreibt:

      Lieber Paraiba,

      Fürsorgearbeit ist eine wichtige Grundlage in der Gesellschaft, denn keiner kann ohne Fürsorge leben. Es ist toll, dass Sie sich schon so lange um Ihre Mutter kümmern. Sie haben vollkommen recht, die Politik müsste viel mehr tun für pflegende Angehörige. Immerhin ist die Prämisse „ambulant vor stationär“ eine große „Sparbüchse“ für die Politik, da die Heimkosten um ein vielfaches höher sind, als das Pflegegeld, dass sowieso dem zu Pflegenden zu steht und nicht dem pflegenden Angehörigen. Es gibt noch viel zu tun. Diesbezüglich setzt sich auch die Stiftung WIR! Pflegende Angehörige, sehr ein. Mit meiner Petition zum Fürsorgegehalt möchte ich auch Verbesserungen für pflegende Angehörige auf den Weg bringen.
      Viele Grüße und weiterhin viel Kraft für Ihre wichtige Aufgabe, Claire Funke

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