Nächste Ausfahrt Armut: Hartz-4 reloaded

Beitragsbild: Pixabay

Im April jähren sich bei mir zwei unschöne Lebensereignisse. Ende April 2018, werden es 9 Jahre, dass ich alleinerziehend bin. Außerdem ist es im April 2 Jahre her, dass ich das erste Mal einen Hartz-4-Antrag gestellt habe. Der Gedanke daran treibt mir jetzt noch Tränen in die Augen. Ich war damals, denke ich, am Rande einer Depression, weil mir einfach nicht in den Kopf wollte, dass ich, nachdem mein befristeter Arbeitsvertrag nach der Geburt vom Kleinen (3) im Mutterschutz ausgelaufen war, keine Arbeitsstelle mehr finden sollte. Tja nun.

Der Druck ist hoch in einem befristeten Anstellungsverhältnis und die Bezahlung schlecht. Ich habe z. B. kein Weihnachtsgeld bekommen, wie die Kollegen/innen, die unbefristet und langjährig im Unternehmen waren. Des Weiteren bekamen diese Mitarbeiter/innen 4 Tage mehr Urlaub. Ich habe also für die gleiche Arbeit viel weniger Geld und Urlaub bekommen! Natürlich wurde dies auch so gehandhabt bei allen anderen Mitarbeiter/innen mit neuen, befristeten Verträgen. Richtig ist es dennoch nicht. Hinzu kommt, dass mit einem befristeten Arbeitsvertrag immer ein Damoklesschwert über einem hängt. Als der erste Vertrag nach 12 Monaten auslief beim meinem vorletzten Arbeitgeber, war es kurz vor Weihnachten 2013. Obwohl ich alle Hände voll zu tun hatte, weil mein Projekt mit gesundheitlich beeinträchtigen Langzeitarbeitslosen sehr gut lief, sollte meine Wochenarbeitszeit plötzlich gekürzt werden mit der Arbeitsvertragverlängerung. Dagegen habe ich mich massiv gewehrt und an die oberste Führungsetage des Unternehmens geschrieben. Ich wollte nicht akzeptieren, dass die anderen Mitarbeiter/innen Weihnachtsgeld bekommen sollten und ich plötzlich eine Stundenkürzung, weil die Fördergelder für mein zweites Projekt weniger wurden, meine Arbeit aber mehr wurde, da das andere Projekt sehr gut lief. Die Tatsache, dass ich mich gewehrt habe, kam natürlich nicht gut an bei meinem damaligen Arbeitgeber. Tja nun.

In diesem Zusammenhang ärgert es mich unheimlich, wenn das im neuen Koalitionsvertrag geplante Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit, von Politikern als toller Fortschritt verkauft wird. Bestenfalls ist dieses als leidlich bemühte Teillösung anzusehen. Bei befristeten Arbeitsverhältnissen, die ja naturgemäß auslaufen, auch, wenn man ein Kind bekommen hat, hat man keinen Arbeitsplatz mehr an den man zurückkehren kann. Pech gehabt. Es ist also eher empfehlenswert, für eine Frau in einem befristeten Anstellungsverhältnis, einen Geburtenstreik zu planen, als eine Schwangerschaft. Tja nun.

Im Juni 2016 habe ich, 10 Tage bevor ich in den Hartz-4-Bezug gefallen wäre, dann doch noch einen Job gefunden. Es gibt jedoch auch hier kein Happy End. Die Anstellung war wieder befristet und mein letzter Arbeitstag war der 02.10.2017 (mehr darüber habe ich in meinem Blogpost „Die Lage ist prekär. Danke für nix!“ geschrieben). Auch hier ärgert mich der Vorschlag der Politik, wenn man meint, es wäre ein Fortschritt, wenn die sachgrundlosen Befristungen abgeschafft werden würden. In meinem Bereich, der beruflichen Erwachsenenbildung, kann ganz leicht ein Sachgrund gefunden werden, denn alle Projekte die hier laufen sind befristet und damit ist ein Sachgrund gegeben (sog. vorrübergehender Fachkräftebedarf, nachzulesen z. B. hier bei ver.di Bildung und Beratung). Meiner Meinung nach gehören, vor allem vor dem Hintergrund der sehr guten wirtschaftlichen Lage der Unternehmen, befristete Arbeitsverträge komplett abgeschafft. Arbeitgeber müssen wieder mehr Verantwortung übernehmen, denn Arbeitnehmer müssen von ihrer Hände Arbeit leben können, egal in welchem Bereich sie arbeiten. Das es Menschen gibt, die so wenig verdienen, dass sie ihr Gehalt aufstocken müssen im Jobcenter ist menschenunwürdig.  Tja nun.

Da ich bereits im Mai 2017 erfahren hatte, dass mein letzter Arbeitgeber meinen Vertrag nur noch bis zum Projektende (02.10.2017) verlängert, habe ich die Petition zum Fürsorgegehalt ins Leben gerufen und angefangen als „Mama streikt“ zu bloggen. Ich wollte u. a. damit für die Zeit der Erwerbslosigkeit (Fürsorgearbeit leiste ich 24/7, bin daher nie arbeitslos!) vorsorgen, gegen die ungewisse Rückkehr meines Selbstwert, BEVOR dieser in den untiefen des schwarzen (Selbstwert)Loch verschwindet, wie 2016. Arbeitslosigkeit ist ein Angriff auf den Selbstwert in unserer erwerbszentrierten Gesellschaft, in der Leistung das einzige ist, was zählt. Durch meine Arbeit als Care-Aktivistin schaffe ich täglich ein Bewusstsein dafür, dass private Care-Arbeit (Kindererziehung, Pflege von Angehörigen) eine wichtige Lebensgrundlage ist, denn kein Mensch kann ohne Fürsorge leben. Darüber hinaus habe ich unzählige Kontakte geknüpft, tolle Menschen getroffen und berührende Lebensgeschichten erzählt bekommen. Mein Selbstwert ist daher gerettet. Immerhin. Schade, dass  meine Kinder und ich nicht von Luft, Liebe und meinem hochgehaltenen Selbstwert leben können. Tja nun.

Leider war und ist es mir nicht möglich, nach 10 Jahren in befristeten Anstellungsverhältnissen (davon 9 Jahre alleinerziehend), die finanzielle Abwärtsspirale in Richtung Armut zu verhindern. Es kostet mich phasenweise unheimlich viel Kraft nicht zu verzweifeln an der Situation. Das ist dann die Kraft, die für meine Kinder manchmal fehlt und das haben meine Kinder und auch kein anderes Kind verdient. Ich habe mit meinen Jungs immer von der Hand in den Mund gelebt. Während dem letzten Arbeitsverhältnis haben die vielen Reparaturen meines 12 Jahre alten Autos (über 2.000 Euro in einem Jahr) verhindert, dass ich in den 15 Monaten Erwerbstätigkeit Geld zurücklegen konnte. Wir wohnen hier auf dem Land ohne großen öffentlichen Nahverkehr. Ich würde schon 9 Jahre von Hartz-4 leben, wenn ich nicht immer Arbeitsstellen angenommen hätte, die eben einige Kilometer außerhalb meiner Heimatstadt gelegen sind. Kurz gesagt hatte ich noch nie das Glück hier vor Ort eine Arbeit zu finden. Ich bin immer zwischen 20 und 35 Kilometer (einfach) gependelt. Auf ein Auto zu verzichten wäre also schon lange unser finanzielles Todesurteil gewesen. Wann immer ich nun in den letzten Wochen in meinem Auto sitze, habe ich Angst, dass wieder was kaputt geht, weil ich die nächste Autorechnung dann wirklich nicht mehr bezahlen kann. Und dann? Laufe ich zu Fuß zum 3 Kilometer entfernten Discounter und Jobs zu denen ich pendeln muss schlage ich aus. Unser Leben wird immer unsicherer. Tja nun.

Aufgrund meiner sehr speziellen beruflichen Ausrichtung, der Erwachsenenbildung, verbunden mit einem nicht vorhandenen Studium (es werden in diesem Bereich fast keine Mitarbeiter mehr eingestellt mit Ausbildungsberechtigung), hat mir die Agentur für Arbeit einen Existenzgründerzuschuss genehmigt. Ich konnte mich daher selbständig machen. Jedoch läuft diese Förderung Ende Mai 2018 aus und ich  habe es bis heute nicht fertiggebracht, in 5 Monaten Selbständigkeit, unseren Lebensunterhalt zu sichern. Sollte es bis Ende April diesbezüglich keine Lösung geben, muss ich schweren Herzens und mit Wut im Bauch, einen erneuten Hartz-4-Antrag stellen. Hartz-4 reloaded. Tja nun.

P.S.: In eigener Sache suche ich Aufträge. Nach 10-jähriger Berufstätigkeit in der Erwachsenenbildung bin ich ein erfahrener Begleiter bei beruflichen Veränderungsprozessen (Menü, siehe unter: Beratungen). Des Weiteren übernehme ich sehr gerne Projekte als Care-Aktivistin. Das Schreiben von Texten zu verschiedenen Themen gehört auch noch zu meinem Repertoire (z. B. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Care-Arbeit, Arbeitsmarkt, Armut, Hartz-4, Pflege). Extremalleinerziehend würde ich am liebsten im Homeoffice arbeiten, gerne auch festangestellt. Freiberuflich geht aber auch. Andere Arbeitsvariationen sind möglich. Schließlich bin ich flexibel. Meistens. Anfragen nehme ich gerne entgegen unter: info@mamastreikt.de.

P.P.S.: Am 12.05.18 um 14.00 Uhr findet eine Familien-Demo statt zum Brandenburger Tor unter dem Motto „Es reicht für uns alle“. Nähere Infos (z. B. zu den Veranstalterinnen) findet Ihr auf Facebook und Twitter (@DemoKinderarmut). Es kommen viele Aktivistinnen (u.a. Christine Finke vom Blog „Mama arbeitet“). Auch ich bin dabei, denn #carearbeitmusssichtbarwerden. Hoffe, mein Auto bleibt nicht liegen auf der Strecke nach Berlin (Zugfahrkarte, war leider mit 89 Euro zu teuer).

Wer nicht teilnehmen kann, unterstützt die Demo bitte, in dem er seine Forderungen postet unter  #gegenKinderarmut und / oder #muttertagswunsch. Arme Kinder haben, aus welchen Gründen auch immer, arme Eltern. Das muss ein Ende haben. 

 

Demobild ganz aktuell ohne #

Bild von der Veranstaltungsseite der Familien-Demo auf Facebook

 

 

 

3 Gedanken zu “Nächste Ausfahrt Armut: Hartz-4 reloaded

  1. Marie schreibt:

    Ich denke nicht dass man hier die Untenehmen zwingen sollte Jobs aufrecht zu erhalten, wenn diese nicht gebraucht werden. Dies wird schon durch den technischen Fortschritt nicht möglich sein. Die Lösung hier ist meiner Ansicht eine gerechtere Verteilung des Vermögens und das bedingungslose Grundeinkommen. Es gibt Experten die das alles schon längst ausgerechnet haben.

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    • Mama streikt schreibt:

      Liebe Marie,

      danke für Deinen Kommentar. Ich würde hier in meiner Situation im Moment antworten Ja und Nein. Es muss eben etwas geschehen. Tun, tut sich aber leider seit Jahren nix und meine Kinder werden nun darunter leiden. Ich bin für ein Fürsorgegehalt, neben dem Grundeinkommen, denn sonst bleibt die Arbeit von Eltern und pflegenden Angehörigen wieder ungewürdigt und unsichtbar. Fürsorge ist die Grundlage unserer Gesellschaft, denn kein Mensch kann ohne Fürsorge leben.

      Viele Grüße, Claire Funke

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