Angst in den eigenen 4 Wänden – #Metoo

Das erste was ich am Wochenende meistens mache, wenn ich wach bin, ist, dem kleinen Kind (4) etwas vorzulesen. Gerade im Herbst-Winter ist das für uns ein schönes, kuscheliges Ritual. Am vergangenen Sonntag musste dieses aber leider ausfallen, denn Kleiner, der noch bei mir schläft, hat das Bett am Morgen vollgespeit. Das ist tatsächlich der einzige Nachteil, den ich nach zwei Kindern am Familienbett feststellen kann, denn in der Regel sind dann wirklich alle zwei Bettseiten irgendwie in Mitleidenschaft gezogen. Das Ganze hatte im Nachhinein fast noch eine humoristische Komponente, da ich am Samstag folgendes getwittert hatte:

Hashtag Wäschefrei Twitter

Mit dem Wäschefrei war es dann also am Sonntag, dem zweiten Advent, nix und irgendwie, stelle ich fest, ist der Advent in diesem Jahr ungemütlich, denn am ersten Advent, war ich morgens um 8.30 Uhr bei der Polizei.

Sommer 2017 – Rückblick

Ich habe einen Nachbarn, der mir immer zugewunken hat, wenn ich auf dem Balkon war. Diese Geste hat mich gefreut und daher habe ich auch zurück gewunken. Da zwischen dem Garten vom Nachbarn und meinem Balkon, noch ein Stück Wiese von unserem Garten liegt, haben wir uns aber nie unterhalten, denn dafür hätte man sehr laut reden müssen. Im Sommer 2017 hat mir dieser Nachbar wie immer zugewunken und dabei aber im gleichen Moment die Hose heruntergelassen. Ich war zuerst total schockiert und dann dachte ich, dass ich das vielleicht nicht richtig gesehen habe. Da dieser Mann immer freundlich war, habe ich also erst einmal an meiner Wahrnehmung gezweifelt. Leider. Denn in den darauffolgenden Wochen passierte es noch sehr häufig, dass der Nachbar die Hosen runter ließ wenn ich auf dem Balkon war. Irgendwann habe ich dann auch nicht mehr an meiner Wahrnehmung gezweifelt. Jedoch habe ich mich nicht getraut zur Polizei zu gehen. Ich dachte, dass mir hier sowieso keiner glaubt. Durch die Vorkommnisse war ich auf der einen Seite unheimlich wütend darüber, dass mich jemand in so eine Situation bringt und auf der anderen Seite habe ich mich wahnsinnig schutzlos und auch schmutzig gefühlt. Scham machte sich in mir breit, weil mir das passiert ist. Tatsächlich habe ich auch darüber nachgedacht, ob ich „Schuld“ sein könnte in der Form, dass ich zu freizügig herumgelaufen bin und den Mann dadurch animiert haben könnte zu seinem Verhalten. Bei längerem Nachdenken kam ich zu dem Schluss, dass dieser Gedanke totaler Quatsch ist, denn, selbst wenn ich freizügig herumgelaufen wäre, gäbe es niemandem das Recht vor mir die Hosen herunter zu lassen. Irgendwann dachte ich mir, dass ich dieses Verhalten nicht unkommentiert so stehen lassen kann, daher schrie ich einmal zu ihm hinüber, als er sich wieder vor mir entblößte: „Wenn Sie das noch einmal machen, zeige ich Sie bei der Polizei an.“
Danach hat das alles erst einmal aufgehört, vielleicht auch deshalb, weil der Sommer vorbei war.

Bedrohung und unterschwellige Ängste

Neben dem, dass ich mich als alleinstehende Frau durch das exhibitionistische Verhalten dieses Mannes schmutzig und bedroht gefühlt habe, hatte ich Angst um meine Kinder. Denn zu unserem Haus gehört ein Garten in dem meine Kinder spielen und der dummerweise genau an den Garten des exhibitionistischen Nachbarn angrenzt. Wie groß meine unterschwellige Angst um meine Kinder ist, habe ich gemerkt, als sie eine Tafel Schokolade geschenkt bekommen haben. Ich war total panisch, denn diese hätte ja von dem exhibitionistischen Nachbarn stammen können, der nun vielleicht auch meine Kinder im Visier hat? Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre ich gerne aus unserer Wohnung ausgezogen, denn als alleinerziehende Mutter brauche ich in meinen vier Wänden Sicherheit und nicht die Angst, dass uns jemand etwas antun könnte. Leider habe ich aber im Moment nicht die finanziellen Möglichkeiten für einen Umzug. Daher müssen wir mit einer weiteren Unsicherheit in unserem Leben  zurechtkommen.

Herbst 2017 – wenn Gedanken ins Rollen kommen und Bewusstheit entsteht: #Metoo

Im Herbst 2017 ist mir mit der #Metoo-Debatte dann bewusst geworden, dass es sich beim Verhalten des exhibitionistischen Nachbarn um sexuelle Belästigung handelt. Als Frau mit, zu dem Zeitpunkt 43 Jahren, hatte ich bis dahin das Gefühl, dass ich mir in gewissem Maß solche Übergriffe gefallen lassen muss. Warum? Das hat sicher einerseits etwas damit zu tun, wie in der Gesellschaft mit sexueller Belästigung umgegangen wird, nämlich so: Frau, soll sich nicht so anstellen. Andererseits ist mir in dieser Zeit bewusst geworden, hat es auch etwas damit zu tun, dass ich als Mädchen und später in der Pubertät erlebt habe, dass mich einmal ein Freund der Familie und im anderen Fall der Lebensgefährte meiner Mutter an Stellen angefasst hat, die beide Männer einfach nicht hätten berühren dürfen. Leider sind es nicht die einzigen Erfahrungen, die ich gemacht habe mit sexueller Belästigung und sexuellen Übergriffen. Da ich als Kind und junge Frau vielfältige Grenzverletzungen erfahren habe, fiel es mir lange schwer, Grenzen zu spüren und wenn nötig auch einem Gegenüber aufzuzeigen. Menschen zu vertrauen ist bis heute schwierig für mich. Ich habe einfach zu oft erfahren, dass ich mich auf die Menschen in meinem Umfeld nicht zu hundert Prozent verlassen konnte. Deshalb an alle, die das lesen und Kinder haben: Passt gut auf Euere Kinder auf. Sie sind auf Eueren Schutz angewiesen. Immer. Kinder erzählen solche Vorkommnisse am ehesten wenn sie Vertrauen haben und spüren, dass Verständnis für sie bei den Eltern vorhanden ist. Ich hatte das zu Hause nur sehr bedingt und habe daher nie über die Ereignisse mit meiner Mutter gesprochen.

Winter 2018 – Advent, Advent, der Nachbar ………

Am Abend vor dem ersten Advent bin ich gegen 21.55 Uhr von der Küche ins Wohnzimmer gegangen, nachdem ich mir einen Tee gekocht hatte. Dabei sah ich den unten entblößten Nachbarn, wie er im gegenüberliegenden Garten stand, genau vor der Gartenlampe. Es sah aus, als ob er brennt, da er sich direkt vor die Außenbeleuchtung gestellt hatte. Außerdem hatte ich dadurch natürlich genau vor Augen, wie er sein Geschlechtsteil, wie ein Lasso durch die Gegend schwang. Es war widerlich. Einfach ekelhaft. Keine Ahnung was für Worte dafür noch passen. Ich habe mich wieder so unglaublich schutzlos gefühlt, vor allem auch deshalb, weil ich mit diesem Angriff nicht gerechnet hatte. Wer kommt schon darauf, dass sich der Nachbar mitten in der Nacht in die Kälte stellt und die Hosen runterlässt? Ich nicht. Jedenfalls war ich wütend, aufgrund diesem exhibitionistischen Überfall. Daher habe ich diesmal etwas gewagt, was ich mich vorher noch nicht getraut hatte. Ich habe alles fotografiert von meinem Wohnzimmer aus, so gut das eben ging. Wie wild drückte ich auf den Auslöser der Handykamera. Für Einstellungen, die, die Fotos vielleicht noch besser und genauer machen konnten, hatte ich aber keine Nerven. Ich war in dem Moment einfach angewidert, weil ich mir  für die Fotos ansehen musste, was ich mir gar nicht ansehen wollte. Danach bin ich auf den Balkon gegangen und habe den Nachbarn angeschrien (ja, ich habe ihn auch beschimpft) und mitgeteilt, dass ich ihn nun anzeigen werde. Ich war außer mir.

Twitterer – die Mutmacher

Da ich nach dem Vorfall immer noch Zweifel daran hatte, dass die Polizei mir glaubt, wenn ich Anzeige erstatte, habe ich auf Twitter geschrieben, was mir passiert ist. Es gab hier dann viel Anteilnahme und wertvolle Hinweise, durch die ich mich weniger schutzlos gefühlt habe und die mich ermutigt haben zur Polizei zu gehen. Ich wollte dann zuerst ohne meine Kinder, am Montag Anzeige erstatten. Da mich das Ganze aber so beschäftigt hat und ich auch nicht noch mehr Zeit verstreichen lassen wollte, bin ich kurz entschlossen am 1. Advent um 8.30 Uhr zur Polizei gegangen. Der Große (11) hat noch geschlafen, daher habe ich nur den Kleinen mitgenommen und für das große Kind  eine Nachricht hinterlassen, falls er in der Zwischenzeit aufwacht.

Polizei – zuerst skeptisch, dann hilfreich

Als ich dem ersten Polizisten die Situation schilderte war dieser skeptisch (wissende Twitterer hatten mich aber schon vorgewarnt, dass ich mich nicht abwimmeln lassen soll), da der exhibitionistische Nachbar die beschriebenen Handlungen auf seinem Grundstück vollzogen hat. Der zweite Polizist, der sich dann näher mit den Ereignissen und meinen Fotos beschäftigt hat, war dann sehr verständnisvoll.  Außerdem konnte er meine Angst, meine zwei Kinder betreffend gut nachvollziehen. Er sagte, dass solche Fälle dahingehend schwierig sind, weil man eben auch nicht weiß, ob es zukünftig bei den exhibitionistischen Handlungen bleibt (was schlimm genug wäre) oder ob es nicht doch auch Übergriffe auf meine (oder andere) Kinder geben könnte. Das Risiko bleibt uns leider, so lange wir hier wohnen. Dennoch bin ich froh, dass ich Anzeige erstattet habe, die dann auch anstandslos von dem zweiten, sehr einfühlsamen Polizisten aufgenommen wurde.

Irritierende Sichtweisen zu sexueller Belästigung

Auf Twitter gab es zur der beschriebenen Situation zwei Sichtweisen, die mich irritiert haben. Diese möchte ich hier noch kurz kommentieren, da ich denke, dass dies wichtig ist um Bewusstheit zu schaffen, was sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe angeht. Mir wurde von einem Mann geraten, den Nachbarn auszulachen. Damit konnte ich gar nichts anfangen, denn ich hatte in der Situation, obwohl ich in meiner Wohnung war, Angst. Da ist einem nicht zum Lachen zumute. Diese Empfehlung war daher überhaupt nicht hilfreich und beinhaltet unterschwellig etwas, was sexuelle Belästigung fördert, nämlich das Geschehende nicht so ernst zu nehmen. Ein weiterer Kommentar der mich stutzen ließ, war der, das mir von einer Frau geraten wurde, mit dem Exhibitionisten selbst oder dessen Ehefrau zu reden, da dieser ja geistig nicht gesund sein könnte und sich an diesem Zustand auch durch eine Anzeige nichts ändern würde. Sicherlich stimmt es, dass es an dem geistigen Zustand des Nachbarn nichts ändern wird, wenn ich ihn anzeige. Aber. Es handelt sich bei sexueller Belästigung um eine Grenzüberschreitung und auch psychische Krankheiten sind kein Grund, dass ich mich für die Entstehung oder Auflösung der Situation verantwortlich fühlen muss. Das führt zur Individualisierung von Problemen und damit letztendlich wieder dazu, dass sexuelle Belästigung nicht ernst genommen wird und das darf wirklich nicht sein. Nie.

 
P.S.: Wenn Ihr meine Arbeit zur Anerkennung und zum sichtbar machen der privaten Care-Arbeit finanziell unterstützt freue ich mich sehr. Hier geht es zu PayPal: https://paypal.me/ClaireFunke. Vielen Dank dafür. Außerdem suche ich Aufträge als virtuelle Assistentin (Infos unter http://www.clairefunke.de). Das Schreiben von Texten zu verschiedenen Themen gehört auch noch zu meinem Repertoire (z. B. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Care-Arbeit, Medizin, Arbeitsmarkt, Essen und Trinken). Extremalleinerziehend würde ich am liebsten im Homeoffice arbeiten, gerne auch festangestellt. Freiberuflich geht aber auch. Andere Arbeitsvariationen sind möglich. Schließlich bin ich flexibel. Meistens. Anfragen nehme ich gerne an unter: info@mamastreikt.de

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