„Warum musst du immer nach Beeehliin?“ – Fragte das kleine Kind am vergangenen Mittwoch bei unserer Abschiedsumarmung (ich war bereits 2018 dort im Rahmen der Demo gegen Kinderarmut). Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht aufgeregt war, vor dem Termin im Bundesfamilienministerium, als ich am 29.05.19 um kurz vor 9.00 Uhr in den Zug nach Berlin gestiegen bin. Erst einmal hatte ich jedoch eine 4-stündige Zugfahrt vor mir, die ich dafür genutzt habe, alle meine Unterstützer auf Twitter, Facebook und Instagram darüber zu informieren, dass die 31.036 Unterschriften der Petition zum Fürsorgegehalt für Eltern und pflegende Angehörige, an diesem Tag übergeben werden.
Das erste was ich nach meiner Ankunft am Bahnhof gemacht habe, war, ein Versprechen einzulösen. Ich hatte den Kindern, als ich im vergangenen Jahr in Berlin war, Gummibärchen mitgebracht. Aber nicht irgendwelche, sondern Ampelmanngummibärchen (Werbung, unbezahlt). Die schmecken nach Kirsche und Waldmeister und meine Kinder hatten sich wieder welche gewünscht und natürlich habe ich ihnen diesen Wunsch erfüllt. Versprochen ist Versprochen………
Berlin hat mich dann mit schönstem Frühlingswetter empfangen. Nachdem ich mit der U-Bahn vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor gefahren war, bin ich von dort aus zu Fuß zum Bundesfamilienministerium gelaufen. Das tat nach der langen Zugfahrt sehr gut.
Auf dem Weg lief u. a. an der Britischen Botschaft vorbei. Davor standen mehrere Männer von der Security und einer erzählte, dass er unlängst Alkohol ausschwitzen musste. Nun ja, dass war irgendwie eine komische Unterhaltung für so einen förmlichen Ort (eine Botschaft), aber Securitiys sind auch nur Menschen.
Danach kam ich am Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorbei. Ich hatte Bedenken, als ich das Schild fotografiert habe. Ob gleich jemand vom Sicherheitsdienst kommt und mir verbietet zu fotografieren? Es kam keiner.
Als ich durch das Regierungsviertel gelaufen bin, habe ich mich gefragt, ob die Politiker*innen hinter den dicken Mauern, abgeschirmt durch geschlossene Türen, Security, Außenkameras und was weiß ch noch für Sicherheitsvorkehrungen, überhaupt noch guten Kontakt zu den Menschen haben können? Politik sollte ja für die Bürger gemacht sein und dafür ist es wichtig, deren Bedürfnisse zu kennen. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn genügend Austausch vorhanden ist. Das ist wie in jeder Familie. Wenn ich mit meinen Kindern nicht im Kontakt bin, gibt es keinen Austausch und ich kenne dadurch dann ihre Bedürfnisse auch nicht.
Eine gute halbe Stunde zu früh war ich dann am Bundesfamilienministerium angekommen.
Prima war, dass es dort gleich am Eck ein Kaffee gab, in dem ich einen Cappuccino trinken konnte. Meine Begleitung, Brigitte Bührlen von Wir! Stiftung pflegender Angehöriger war am Vormittag noch auf einer Podiumsdiskussion in München gewesen, daher wusste ich, dass sie erst kurz vor knapp zum Termin kommen würde oder, je nach Verkehrsaufkommen, etwas später.
Pünktlich um 15.00 Uhr habe ich an der Pforte des Bundesfamilienministerium vorgesprochen und wurde wenige Minuten später von einer sehr netten jungen Frau abgeholt und zu Frau Dr. Schweikert (Abteilung Gleichstellung) gebracht. Kurz darauf traf auch Brigitte Bührlen ein und wir konnten das Gespräch beginnen. Anfangs hatte ich die Gelegenheit meine Beweggründe für die Petition zum Fürsorgegehalt nochmals darzustellen. Ich konnte auch die Personengruppen benennen, die besonders viel Care-Arbeit leisten (Eltern, Alleinerziehende, pflegende Eltern, pflegende Angehörige, young Carer, Sonstige (z. B. Ehrenamt)) und damit darauf aufmerksam machen, dass es sich hier um eine heterogene Gruppe handelt, die eine Gemeinsamkeit hat, nämlich das sie lebensnotwendige Fürsorgearbeit verrichtet. Bei der Petitions-Forderung nach einem neuen Arbeitsbegriff war in dem Gespräch mehr Offenheit wahrzunehmen, als für die Absicherung der privaten Care-Arbeit mit einem Fürsorgegehalt. Damit hatte ich gerechnet, dennoch hätte ich mir etwas anderes gewünscht. Das Beitragsbild mit Frau Dr. Schweikert (li.), Brigitte Bührlen (re.) und mir ist bei der Unterschriftenübergabe entstanden.
Die Essenz aus dem Gespräch im Bundesfamilienministerium ist für mich, dass wir alle weiter kämpfen müssen dafür, dass die unbezahlte Carearbeit als gleichwertige Arbeit neben der Erwerbsarbeit anerkannt wird und das diese lebensnotwendige Fürsorgearbeit auch abgesichert wird mit einem Fürsorgegehalt. Wir brauchen eine Bürger*innen-Bewegung, denn von der Politik wird keine Initiative ausgeben für die Lösung dieses Problem. Bestärkt wurde meine Einschätzung durch ein Interview mit Dr. Karin Jurczyk (Soziologin und Mitglied der Initiativgruppe Care.Macht.Mehr), dass ich gelesen habe. Hier heißt es, Zitat:
„Ich wünsche mir, dass Familie als entscheidende Ressource für die Gesellschaft und als unverzichtbare Lebensform eine eigenständige Forschungsperspektive am DJI bleibt. In Deutschland wird zurzeit Familienforschung tendenziell eher abgebaut.“
Das Familienforschung tendenziell eher abgebaut wird, finde ich alarmierend. Es ist daher von noch größer Bedeutung, dass wir uns dafür einsetzen, dass private Care-Arbeit sichtbar wird und dass sie ins Zentrum der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gestellt wird. Ein Zitat vom Verein „Wirtschaft ist Care“ bringt es auf den Punkt:
„Ohne Care gibt es keine Menschen. Ohne Menschen braucht es keine Wirtschaft.“
Im Moment steht die Wirtschaft im Zentrum der Aufmerksamkeit von Politik und Gesellschaft. Die Frage ist daher, wie können wir das System ändern, dahingehend, dass die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse im Zentrum stehen? Mein Weg ist im Moment, darüber zu bloggen und zu twittern.
In einem weiteren sehr lesenswerten Interview mit Mascha Madörin (Ökonomin) hat diese einen Aspekt der privaten Care-Arbeit dargestellt, der mir bis jetzt nicht bewusst war, Zitat:
„Die personenbezogenen Dienstleistungen werden relativ gesehen immer teurer, und zwar wegen des technischen Fortschritts. Je größer der Fortschritt in Sektoren ist, in denen man durch Technologie Arbeit einsparen kann, desto teurer wird die andere Arbeit im Vergleich dazu. Ein Beispiel: In den 1970er Jahren braucht man etwa sechzig durchschnittliche Jahreseinkommen, um einen Computer mit grosser Rechenkapazität zu kaufen. Wenn jemand schwer pflegebedürftig war, braucht man drei oder vier Jahreseinkommen, um die Pflegearbeit zu bezahlen. Heute reicht das
Einkommen von ein paar Stunden oder Tagen, um ein Smartphone zu kaufen, das mehr Kapazität hat als ein Grossrechner in den 1970ern. Die pflegebedürftige Person braucht aber noch gleich viel Arbeit beziehungsweise Einkommen, um die Pflege zu bezahlen. Robotter können nun mal keine Pflegearbeit übbernehmen. Das ist ein Prinzip des technischen Fortschritts: Je stärker die Automatisierung, desto höher wird vergleichsweise der Preis für Dienstleistungen und Produkte, die nach wie vor arbeitsintensiv sind. Dies betrifft auch anderen Branchen, etwa den Journalismus oder die wissenschaftliche Forschung.“
Nach zwei Jahren, in denen ich mich intensiv mit der privaten Care-Arbeit auseinander gesetzt habe, gibt es immer wieder Aspekte, die ich (noch) nicht gesehen habe. Das ist spannend und es macht mir viel Freude immer wieder Neues dazuzulernen.
Jedem Ende wohnt ein Anfang inne, daher frage ich mich natürlich: Was können wir weiter tun, damit private Care-Arbeit von Eltern und pflegenden Angehörigen immer mehr sichtbar wird? Ich habe schon eine neue Aktion im Kopf. Seit kurzem erst. Dazu brauche ich jedoch Hilfe, denn es geht um Zahlen und das ist eigentlich gar nicht so meine Welt. Daher habe ich schon eine E-Mail geschrieben und um Hilfe gebeten. Mal sehen, was daraus wird. Sollte es gelingen diese neue Aktion ins Leben zu rufen, brauche ich wieder Euch und Eure Unterstützung.
P.S.: Ich freue mich, wenn Ihr meine Arbeit zum sichtbar machen der privaten Care-Arbeit unterstützt. Hier geht es zu PayPal: https://paypal.me/ClaireFunke. Herzlichen Dank!
Hat dies auf Care Revolution Netzwerk Rhein-Main rebloggt.
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