Unlängst konnte ich keine Musik mehr hören mit meinem Handy. Das Internet wusste schnell Rat. Ich habe einfach das Problem in die Suchmaschine eingegeben und hatte in Nullkommanix eine Lösung. Einstellungen zurückgesetzt. Fertig. Musik läuft wieder.
Wäre schön, wenn ich mich selbst bei „Funktionsbeeinträchtigungen“ genauso schnell und einfach zurücksetzen könnte. Per Knopfdruck. Zurück. Auf Anfang. Stattdessen fühlt sich das Jahr 2019 für mich an wie der Slogan für eine Reifenwerbung, die es mal gab: „Sie läuft und läuft und läuft……….“ Immer weiter. Keine Kraft anzuhalten. Keine Kraft weiterzumachen. Aushalten. Irgendwie. Alles. Immer. Alleine. Ich hatte in den letzten Wochen große Probleme alle „Must`s“ und To-do`s“ anzuhalten. Einfach mal anhalten. Innehalten. Kurz. Unmöglich. Stattdessen begleitete mich die Reifenwerbung in meinen Gedanken und im Tun. Ich lief und lief und lief und fühlte mich unendlich erschöpft dabei. Rastlos. Manchmal auch mutlos. Wut war auch dabei. Was tun um auszubrechen aus dem „sie läuft und läuft und läuft“ – Kreislauf?
Nachdem ich in diesem Jahr sehr schlimm Heuschnupfen habe, beschloss ich vor drei Wochen zu fasten. Eigentlich ist die klassische Zeit zum Heilfasten, die in den Übergängen der Jahreszeiten von Herbst auf Winter oder Winter auf Frühling, nicht im Sommer. Aber ich wollte JETZT was tun, damit mich der Heuschnupfen vielleicht nächstes Jahr nicht mehr so plagt. Vielleicht wollte ich auch wieder das Gefühl von Selbstwirksamkeit erlagen um damit den „sie läuft und läuft und läuft“-Modus zu durchbrechen. Wenn es nach dem Buch gegangen wäre, dass ich über Heilfasten gelesen habe, hätte ich übrigens nicht gefastet, bis mein kleiner Sohn in vielleicht 13 Jahren aus dem Haus ist, denn da stand geschrieben, dass frau sich zum Fasten „idealerweise frei nimmt“. Ha! Da ich keine 13 Jahre warten wollte, habe ich unter unfreien Bedingungen gefastet und es ist mir erstaunlich leicht gefallen nichts zu essen. Ich fand es entlastend mich täglich nur um Obst-, Gemüsesäfte und selbst gekochte Gemüsebrühe kümmern zu müssen (meine Kinder haben natürlich normal gegessen, ich hatte vorgekocht!). Am meisten schwer gefallen ist mir, dass ich während dem Fasten keinen Kaffee trinken sollte. Im Alltag trinke ich 2-3 Tassen Kaffee und hätte daher nie gedacht, dass ich ihn so sehr vermissen würde. Noch mehr als Schoki. Unglaublich.
An meinem zweiten Fastentag, habe ich einen Beitrag gelesen in der NZZ mit dem Titel „Der Hunger in Afrika nimmt zu“. Fürchterlich, dass wir hier in Deutschland Nahrungsmittel wegwerfen (bei Obst / Gemüse oft auch nur, weil die Form! nicht passt) und es auf der anderen Seite Menschen gibt, die nichts (wenig) zu Essen haben und hungern. Ich konnte mit meinem Hunger während dem Heilfasten sehr gut umgehen, denn ich hatte mich freiwillig dazu entschieden, innerhalb eines begrenzten Zeitraums auf Nahrung zu verzichten. Als ich dann den Beitrag über den Hunger in Afrika gelesen habe, kam ich mir aufgrund meiner Entscheidungsfreiheit, die ich habe, was die Nahrungskarenz betrifft, fast schon privilegiert vor. Aber. Menschen hungern. Auf der ganzen Welt. Auch in Deutschland. Darunter viele Kinder. Das ist unendlich bedrückend.
Was der freiwillige Nahrungsverzicht für mich gebracht hat? Durch das Heilfasten kann ich mich und meine Bedürfnisse wieder besser wahrnehmen. Etwas, dass unter den vielen To-do`s in den letzten Monaten als alleinererziehende, zum Teil angestellte (450-Euo-Job) und zum Teil selbständig erwerbstätige Mutter, verloren gegangen war. Ich konnte den „sie läuft und läuft und läuft“ – Modus durchbrechen. Heilfasten als Reset. Quasi. Interessant dabei war auch, dass mein sowieso schon sehr ausgeprägter Geruchssinn noch genauer wahrgenommen hat während dem Fasten. Eigentlich mehr, als mir manchmal lieb war.
Im Moment fehlt mir ganz sehr Entspannung. Los lassen. Mich treiben lassen. Gedanken fliegen lassen. Seele baumeln lassen. Unter all den beruflichen und privaten Anforderungen die an mich gestellt werden, ist es mir manchmal unmöglich, auch nur kurzzeitig, diesen leichten entspannten Schwebezustand zu erreichen. In Überlastungssituationen sehe ich nur noch die To-do`s, die so schnell wie möglich abgearbeitet werden müssen. Das wiederum führt dazu, dass ich den Blick auf mich verliere, weil ich zu viel anderes im Blick behalten muss. Jedenfalls habe ich während dem Fasten festgestellt, dass ich schon seit 4 Jahren kein Vollbad mehr genommen habe. Wie entspannend eine halbe Stunde in der Badewanne sein kann hatte ich tatsächlich vergessen. Eingehüllt in warmes Wasser ist mir dann auch noch aufgefallen, dass ich schon einige Monate nicht mehr bewusst ein- und ausgeatmet habe. Schlimmer noch, ich konnte mich wirklich nicht mehr erinnern, wann ich den letzten tiefen und entspannenden Atemzug getan hatte. Krass.
Für mich war diese Erfahrung mit dem Heilfasten wichtig, weil ich dadurch, dass ich etwas ganz anders gemacht habe in meinem Alltag, wieder einfacher die Perspektiven wechseln kann. Die Unterscheidung zwischen dem, was ganz dringend abgearbeitet werden muss und dem, was auch noch einen Tag liegen bleiben kann, fällt mir jetzt auch wieder leichter. Selbstfürsorge ist wieder besser möglich. Im Herbst werde ich wieder eine Woche auf Nahrung verzichten und am Ende vom Winter ein weiteres mal. Ich habe dabei die Hoffnung, dass ich gesund durch die kalte Jahreszeit komme und sich die Heuschnupfensymptome im nächsten Sommer in erträglichen Grenzen halten. Es ist sehr beruhigend für mich, dass ich trotz meiner oft angespannten Lebenssituation immer wieder Möglichkeiten finde für mich und mein Leben. Was allerdings sehr beunruhigend ist, ist, dass es bis zum nächsten Sommer wahrscheinlich keine grundsätzliche Lösung geben wird für den Hunger in Deutschland und in der Welt. #WeneedCare #WehavetoCarefor
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Beitragsbild: Pixabay von Silviarita
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