Im Winter 2018/2019 hatte ich einen schweren Infekt, der mich extrem schwächte und der in eine Operation mündete. Aus diesem Grund hatte ich Angst vor dem Winter 2019/2020. Nochmals so ein zwei Monate lang anhaltender Infekt, der einfach nicht weg gehen will, war für mich eine Horrorvorstellung. Die Angst vor einem weiteren schweren Infekt war im Nachhinein unbegründet. Aber. Dafür kam am Ende des Winters die Coronakrise und für mich begann der Horror dann dennoch, denn ich bin vollzeitnah berufstätig im Homeoffice und mit dem Lockdown und den Schul- und Kitaschließungen hatte ich dann also ständig zwei Kinder zu Hause zu betreuen.
Wie sehr mich die ganze Situation erschöpft hat, konnte ich mir erst eingesehen, nachdem das kleine Kind (5) am 27.04.20 in die erweiterte Notbetreuung gehen konnte. Als alleinerziehende, erwerbstätige Mutter hatte ich zu diesem Zeitpunkt in Bayern dann einen Anspruch auf Notbetreuung. Das dies nicht für alle Alleinerziehenden so ist, habe ich eine Woche später erfahren durch eine Zuschrift.
Die letzte Woche vor dem Kitabesuch war fürchterlich. Das kleine Kind und ich haben fast nur noch gestritten und ich habe mich gehasst dafür, dass ich nicht mehr gelassen reagieren konnte. Ich war einfach unendlich erschöpft von der ständigen Parallelität an Anforderungen, von Homeoffice und Kinderbetreuung. Das war krass und ich bin ganz ehrlich, ich hätte das nicht mehr länger geschafft. Wenn die erweiterte Notbetreuung für uns nicht möglich gewesen wäre, hätte ich Aufträge absagen müssen. Jedenfalls wäre es nicht so weiter gegangen, wie die Wochen davor. Ich war überlastet und erschöpft, weil ich weder in Ruhe meine Kinder betreuen konnte, noch in Ruhe der Erwerbsarbeit im Homeoffice nachgehen konnte. Eine Umfrage am Wochendende von mir auf Twitter hat gezeigt, dass es anderen Eltern ähnlich geht, 68 % der 826 TeilnehmerInnen sind sehr erschöpft bis ausgebrannt:
Ob der Bundesgesundheitminister Herr Spahn und die Bundesfamilienministerin Frau Giffey. auf dem Schirm haben, dass nicht nur eine Infektionswelle durchs Land geht, sondern auch eine Erschöpfungswelle?
In der ersten Kita-Woche war ich manchmal euphorisch, weil sich alles wieder leichter anfühlte und in der zweiten Kita-Woche kam dann aber doch die ganze Erschöpfung durch und ich fühlte mich an manchen Tagen so, als wäre nur noch eine Hülle von mir anwesend, die die Fürsorgearbeit und meine Aufträge abarbeitet. Die ganze Situation hat mich fast in eine ähnliche Krise gestürzt wie im Jahr 2015, was erschreckend ist.
Ich habe 6 Wochen durchgehalten mit dem Kindergartenkind zu Hause. Wenn meine Mutter und meine Schwester unter der Woche nicht fast täglich gekommen wären, um mit meinem kleinen Sohn wenigstens einmal raus zu gehen, wäre ich früher zusammengeklappt. Es ist unmöglich Kinder zu Hause zu betreuen und gleichzeitig im Homeoffice zu arbeiten. Wer das ernsthaft denkt, macht die Arbeit von ErziehrInnen und LehrerInnen unsichtbar. Da mein großer Sohn (12) sich meistens selbständig um die Erledigung der Aufgaben des Wochenplan kümmert, war das Homeschooling bei uns nicht so schwierig. Die Lehrerin kommuniziert seit Ende April über den Schul-Messenger mit den Kindern direkt, so dass ich hier keine E-Mails mehr bekomme mit Arbeitsaufträgen, wie noch vor den Osterferien. Was mich dankbar sein lässt auf der einen Seite, denn ich lese in den sozialen Netzwerken von Eltern die aus unterschiedlichen Gründen sehr zu kämpfen haben mit dem Homeschooling. Auf der anderen Seite habe ich dennoch mehr Arbeit, weil das Kind den ganzen Tag zu Hause ist und nicht mehr in der Schule. Natürlich waren die Maßnahmen wie Schul- und Kitaschließungen, sowie Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen richtig um die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Aber ganz selbstverständlich davon auszugehen, dass Menschen, die Care-Arbeit leisten (das sind immer noch meistens Frauen) nun plötzlich Superkräfte entwickelt haben, die es ihnen ermöglicht monatelang Kinderbetreuung / Homeschooling und Homeoffice gleichzeitig zu erledigen ist schon eine grobe Fehleinschätzung und nicht hinzunehmen.
Im Moment kann ich durch die erweiterte Notbetreuung etwas verschnaufen und dennoch habe ich Angst und zwar vor dem kommenden Winter 2020/2021. Was ist, wenn wir einen zweite Infektionswelle bekommen in der kalten Jahreszeit? Werde ich dann weiter Anspruch auf die erweiterte Notbetreuung haben? Oder müssen wir dann wieder wochenlang zu Hause ausharren und ich muss dann wieder die Parallelität von Kinderbetreuung und Homeoffice schultern? Ich schaffe das nicht noch einmal und mich ärgert es, dass ich als Selbständige nur die Möglichkeit habe, einen HartzIV-Antrag zu stellen, wenn ich meine Aufträge nicht mehr abarbeiten kann. In Bayern können Soloselbständige zwar einen Antrag für Corona-Soforthilfe stellen, aber dieses Geld darf nicht für den Lebensunterhalt verwendet werden und da ich nicht viele Kosten habe (z. B. Leasingraten, Arbeitszimmer, gewerbliche Mieten usw.) kann ich hier keine finanzielle Hilfe beantragen. Die Lohnfortzahlung, die eingerichtet wurde für Eltern, die ihre Kinder betreuen müssen, gilt nur für Angestellte (sog. Einkommensersatzleistung nach dem Infektionsschutzgesetz) und die läuft nach 6 Wochen aus. Ich und meine Kinder fallen mal wieder durchs Netz der Hilfsangebote und das ärgert mich. Mehr als das. Es macht mich wütend.
Private Care-Arbeit ist lebensnotwendige Arbeit, dass wird einmal mehr sichtbar in diesen Tagen. Durch Zeitverwendungsstudien, die in Deutschland seit 1991 alle 10 Jahre durchgeführt werden (die letzte Studie gab es vom statistischen Bundesamt 2012/2013), sollte mittlerweile eigentlich auch in der Politik bekannt sein, wie hoch der Zeitaufwand ist für die unbezahlte Arbeit zu normalen Zeiten und nun wird Eltern, pflegenden Eltern, Alleinerziehenden, pflegenden Angehörigen auch noch zugemutet wochenlang die vermehrte private Sorgearbeit (z. B. durch Schul- und Kitaschließungen, Wegfall von ambulanten Pflegediensten) zu erledigen, parallel zur Erwerbsarbeit? Wobei ja auch nicht alle Eltern im Homeoffice arbeiten können. Was machen sie, wenn die Lohnfortzahlung nach 6 Wochen ausgelaufen ist? Fragen über Fragen und keine Antworten. Anstatt das z. B. ElternvertreterInnen ins Bundekanzleramt eingeladen werden, damit Konzepte erarbeitet werden können, wie ALLEN Elterngruppen und ALLEN Kindergruppen geholfen werden kann, hat Angela Merkel in der letzten Woche lieber mit Vertretern der Automobilindustrie gesprochen. Danke für nichts!
Rona Duwe vom Blog Phönix-Frauen, Sonja Lehnert vom Blog Mama notes und Karin Hartmann (Twittert als @baukulturpb) rufen mit Ihrer Aktion #CoronaElternRechnenAb dazu auf, die durch die Coronakrise vermehrt geleistete private Care-Arbeit dem jeweiligen Kultus- und / oder Familienministerium des Bundeslandes in dem Ihr lebt, in Rechnung zu stellen. Ich mache gerne mit bei der Aktion und werde das Homeschooling dem bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus in Rechnung stellen und die zusätzlich geleisteten Betreuungsstunden von meinem kleinen Sohn werde ich dem bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales in Rechnung stellen. Macht alle mit bei der Aktion und flutet die Ministerien mit Euren Rechnungen, damit die vermehrte Sorgearbeit, die zu Hause geleistet werden muss durch die Coronakrise, sichtbar wird. Schreibt an das Familienministerium / Kultusministerium des Bundeslandes in dem Ihr wohnt, eine Rechnung mit Euerem Stundensatz und verbreitet die Aktion in den sozialen Netzwerken unter Verwendung des Hashtag #CoronaElternRechnenAb.
P.S.: Wenn Ihr meine Arbeit zur Anerkennung und zum sichtbar machen der privaten Care-Arbeit finanziell unterstützt freue ich mich sehr. Hier geht es zu PayPal: https://paypal.me/ClaireFunke
PPS.: Lesenswerte Texte zu verschiedenen aktuellen Themen und ein Hörbeitrag vom DLF Kultur an dem ich zum Thema Homeschooling mitgewirkt habe:
- DIW Berlin: Corona-Krise erschwert Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor allem für Mütter – Erwerbstätige Eltern sollten entlastet werden
- HartzIV in Corona-Zeiten – Grundverunsicherung
- Hörbeitrag: Lernen und loslassen – Aus einer Zeit ohne Schule
Liebe Claire, danke für deinen tollen Text, in dem ich mich sehr wieder finde. Leider finde ich im Netz nichts zu deinem Statement „Die Lohnfortzahlung, die eingerichtet wurde für Eltern, die ihre Kinder betreuen müssen, gilt nur für Angestellte (sog. Einkommensersatzleistung nach dem Infektionsschutzgesetz) und die läuft nach 6 Wochen aus“.
Kannst Du mir eine Quelle nennen?
Viele Grüße
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Liebe Nora,
vielen Dank für Deinen Kommentar. Du findest folgendes Zitat „Jahresurlaub und Überstunden sind nach einer Weile abgebaut, Einkommensersatzleistungen nach dem Infektionsschutzgesetz laufen nach sechs Wochen aus.“ im 3. Absatz von unten, unter folgendem Link: https://www.diw.de/de/diw_01.c.787888.de/publikationen/wochenberichte/2020_19_1/corona-krise_erschwert_vereinbarkeit_von_beruf_und_familie_v___r_muetter_____erwerbstaetige_eltern_sollten_entlastet_werden.html?pic=figure3&pic=figure7#figure7
Ich hatte den DIW Wochenbericht auch am Ende des Blogbeitrag verlinkt.
Viele Grüße, Claire
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