380-60-825: Warum es sich dabei nicht um die Lottozahlen handelt und was das mit Care-Arbeit zu tun hat

Eigentlich verdiene ich im Moment genügend Geld, so dass Armut in unserem Leben kein Thema mehr sein müsste. Aber. Armut hinterlässt Spuren. Und daher leide ich heute nicht mehr unter direktem Geldmangel, sondern vielmehr unter der Angst davor. Wenn ich Aufträge verlieren würde oder z. B. durch Krankheit nicht mehr erwerbsarbeitsfähig wäre müsste ich wieder Wohngeld oder sogar schlimmsten Falls Hartz-IV beantragen und das bedeutet Armut. Beides. Ich erwische mich daher im Moment häufig dabei, dass ich mich nicht über die ausreichenden Aufträge freuen kann, sondern ein Satz in meinen Gedanken zeitweise fast in Endlosschleife vorkommt: „Was mache ich, wenn es nicht mehr genügend Aufträge sind?“ Das ist quälend.

Armut prägt und deshalb muss ich manchmal fast heulen, wenn ich am 20. des Monats noch einen Großeinkauf machen kann und dann sogar noch genügend Geld da ist um die Schuhe zum Schuster zu bringen. Am 20. des Monats! Da war vor noch nicht allzu langer Zeit das Geld häufig schon ausgegeben und vom Restmonat war noch zuviel übrig bis zum nächsten Geldeingang. Ich hätte niemals gedacht, dass mich dieses Thema mit dem wenigen Geld noch weiterhin beschäftigen wird, wenn ich wieder genügend mit Erwerbsarbeit verdiene. Armut hinterlässt Spuren. Auch bei meinen Kindern. Das kleine Kind fragte noch im letzten Sommer im Freibad, ob es Geld für Eis ausgeben kann. Weil er es gewohnt war aus finanziell sehr schwierigen Zeiten.

Viele Menschen argumentieren, dass es doch gut ist in Deutschland, weil wir hier zumindest die Möglichkeit haben Wohngeld oder Hartz-IV zu beantragen. Da weder die Höhe der Leistungen, noch der Umgang mit Betroffenen als in jedem Fall einwandfrei oder gar menschlich bezeichnet werden kann, kann ich das aber so nicht bestätigen. Und. Was es konkret heißt von Sozialleistungen leben zu müssen wissen die wenigsten. Was also bedeutet Armut bei uns in Deutschland? Ein Einblick.

Ich putze sehr gründlich Zähne, nicht nur weil mir Zahngesundheit wichtig ist, sondern auch, weil es wahnsinnig viel Geld kostet die Zähne wieder in Ordnung zu bringen. Zahnersatz ist unheimlich teuer und wird nicht zu 100 % von der Krankenkasse übernommen. Obwohl mir Zahnpflege also sehr wichtig ist, gab es Zeiten, in denen ich aufgehört hatte zusätzlich zur Zahnseide noch täglich die vom Zahnarzt empfohlenen Zwischenzahnbürsten zu verwenden. Ich konnte es mir einfach nicht mehr leisten. Eine Zwischenzahnbürste ist wirklich kein Luxus. Eigentlich. Aber wenn man nicht genügend Geld hat dann eben schon.

Im Winter 2019 hatte ich einen sehr schlimmen Infekt, der sich über zwei Monate hinzog. Weder Naturheilkunde, noch mehrere Antibiotika konnten verhindern, dass sich ein Abszess an einer vereiterten Gaumenmandel bildete und ich dann auch noch operiert werden musste. Die Zuzahlung für 4 Tage Krankenhausaufenthalt waren eine finanzielle Herausforderung. Da ich zu dem Zeitpunkt fest nur einen 450-Euro-Job hatte als virtuelle Assistentin, traute ich mich nicht, mich krank zu melden. Zu groß war die Angst diese kleine Sicherheit wieder zu verlieren. Ich informierte meinen Arbeitgeber auch nicht, als ich ins Krankenhaus musste sondern beantwortete kurz nach meiner OP noch Kunden-E-Mails. Und. Ich war auch die ganze Zeit im Krankenhaus erwerbstätig, denn als virtuelle Assistentin kann ich von überall aus arbeiten. Als ich zur Kontrolle bei der HNO-Ärztin war nach dem Krankenhausaufenthalt, empfahl sie mir ein Vitaminpräparat um mein Immunsystem zu unterstützen. Leider gibt es solche Nahrungsergänzungsmittel, auch nicht nach schwerer, längerer Krankheit, auf Rezept. Ich konnte das empfohlene Präparat nur kaufen mit der Unterstützung einer Blogleserin. Menschen die keine Blogleser*Innen haben und auch sonst keine Unterstützung, können sich dann das ärztlich empfohlene Präparat gar nicht kaufen. Gesundheit ist unser höchstes Gut?! Ja. Aber. Man muss es sich auch finanziell leisten können sie zu pflegen. Die Gesundheit.

Und so ist es mit vielen Dingen des täglichen Lebens, für Menschen mit wenig Geld, sie werden fast unerschwinglich und größere Anschaffungen sind unmöglich. Ich hatte fast zwei Jahre keine Spülmaschine, was ich als sehr belastend empfand, denn als Alleinerziehende bin ich für jeden Handgriff dankbar, den ich nicht machen muss. In der Erwachsenenbildung habe ich Menschen begleitet, die Schimmel in jedem Zimmer der Wohnung hatten und aufgrund des niedrigen Satzes, der im Hartz-IV-Bezug fürs Wohnen zur Verfügung steht, aber ewig brauchten um eine neue Wohnung zu finden. In einem Fall gelang das nur, weil ich die Bürgermeisterin einbezog. Als ich noch ehrenamtliche Betreuerin war, wollte ich meinen großen Sohn einmal mitnehmen zu einem Termin mit Herrn Müller (Name geändert). Als das Kind das Haus von außen sah, war es so entsetzt, dass es lieber im Auto wartete. Es gibt in Deutschland Menschen, die keinen Strom haben, die ihre Wäsche in der Badewanne waschen, weil sie sich keine Waschmaschine leisten können und auch ein Handytarif kann unerschwinglich sein.

Armut ist also auch in Deutschland verbreitet und das ist viel zu wenigen Menschen bewusst.

Weltweit betrifft Armut mehr Frauen und Kinder als Männer. Riane Eisler (Soziologin, Systemwissenschaftlerin, Kulturhistorikerin, Anwältin) schreibt dazu in ihrem Buch („Die verkannten Grundlagen der Ökonomie“, Seite 149):

„Laut dem UNICEF-Bericht The State of the World`s Children 2005: Childhood under Threat leiden über die Hälfte der Kinder weltweit aufgrund von Armut, Krieg und HIV / AIDS unter extrem schlechten Bedingungen. 2015 lebten immer noch über 700 Millionen Menschen in extremer Armut, darunter jedes fünfte Kind und 22 Prozent mehr Frauen als Männer. Dadurch erleiden Kinder dauerhafte Schäden. Fortschritte in Richtung Menschenrechte und wirtschaftliche Entwicklung werden blockiert.“

Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung hat ergeben, dass Frauen in Deutschland auf das gesamte Erwerbsleben gerechnet nur etwas mehr als die Hälfte des Erwerbseinkommen der Männer verdienen. Das hat etwas damit zu tun, dass Frauen mehr unbezahlte Care-Arbeit leisten (z. B. Kindererziehung, Betreuung und Pflege von Angehörigen). Deshalb sind sie häufiger von Armut betroffen. Das ist eine ganz große Ungerechtigkeit, die wir denke ich nur abschaffen können, in dem wir Fürsorge in unser gesellschaftliches Zentrum stellen. In dem bereits genannten, sehr lesenswerten Buch von Riane Eisler steht dazu auf Seite 19:

„Die zunehmenden Probleme von Individuen, Gesellschaft und der natürlichen Umwelt, also unserer Mitwelt, haben eine gemeinsame Ursache: Einen Mangel an Fürsorge bzw. Care. Wir brauchen ein Wirtschaftssystem, das uns über Kommunismus, Kapitalismus und andere herkömmliche Ismen hinausträgt. Wir brauchen wirtschaftliche Modelle und Regeln sowie eine Wirtschaftspolitik, die Fürsorge gegenüber uns selbst, gegenüber anderen und gegenüber unserer Mitwelt unterstützen.

Manchen mag eine auf Fürsorge basierende Wirtschaft unrealistisch erscheinen, tatsächlich ist sie jedoch sehr viel näher an der Realität als die herkömmlichen Wirtschaftsmodelle. Letztere blenden auf befremdliche Art und Weise einige der grundlegenden Voraussetzungen der menschlichen Existenz aus – allen voran die essentielle Bedeutung von Fürsorge und Care-Arbeit für jegliche ökonomische Aktivität.“

Im Juni 2019 erfuhr ich von der Aktion Makroskandal – Zahlen sprechen Klartext, die in der Schweiz durchgeführt wurde von Mascha Madörin (Ökonomin) und der feministischen fakultät. Es ging dabei darum auf die öknonomischen Ungerechtigkeiten zwischen Männern und Frauen aufmerksam zu machen. Dies geschah anhand von 3 Zahlen, die Mascha Madörin errechnet hatte. Ich war so begeistert von der Aktion, dass ich mit klopfendem Herzen eine E-Mail schrieb an die Initiatorinnen um zu fragen, ob es möglich wäre, dass diese oder ähnliche Zahlen auch für Deutschland berechnet werden können. Ich bekam fast unmittelbar eine Antwort auf meine Mail von Zita Küng von der feministischen fakultät und von Mascha Madörin , deren Arbeit mich schon lange, sehr begeistert (ja, ich bin ein Fangirl!). Auf diesem Weg kam der Kontakt zu Dr. Chrstine Rudolf (Ökonomin, Politologin) zustande, die im Herbst 2020 eine AG gebildet hat von der ich, zusammen mit Ulrike Reiche, Dr. Ulrike Knobloch und Lilly Schön, ein Teil sein darf. An dieser Stelle möchte ich mich bei meinen Mitstreiterinnen unserer AG #ClsoeEconDataGap bedanken für den großartigen Austausch, den wir in den letzten Monaten hatten.

Wir haben nun, nach dem Vorbild der Aktion in der Schweiz, auch drei Zahlen veröffentlicht für Deutschland auf unserer Internetseite www.closeecondatagap und das macht mich ein bisschen Stolz. Vor allem aber hoffe ich, dass diese Zahlen in der Gesellschaft, sowie in Politik und Medien weite Verbreitung finden, damit das Bewusstsein für Care ausgeweitet wird und die Bedürfnisse der Menschen irgendwann im Zentrum der Gesellschaft stehen. Dann würde auch Armut der Vergangenheit angehörten.

Unsere erste Zahl – 380 – hat mich bis jetzt am meisten beschäftigt:

„380 Milliarden Euro: Soviel Einkommen haben Frauen in Deutschland jedes Jahr weniger als Männer, obwohl Frauen eine Stunde mehr in der Woche arbeiten.“

Mir war überhaupt nicht bewusst, dass der größte Teil dieser Einkommenslücke von 380 Milliarden Euro auf den Gender-Care-Gap zurück geht, also den Teil, den Frauen mehr unbezahlt arbeiten als Männer. Das macht nämlich dreiviertel der Gesamt-Einkommenslücke aus. Ein Viertel geht dabei auf den Gender-Pay-Gap zurück. Wenn wir diese 380 Milliarden Euro, die Frauen weniger Einkommen haben als Männer verteilen würden, könnten wir jeder erwerbstätigen Frau ab 15 Jahren einen Einkommensausgleich von ca. 6.000 Euro jährlich bezahlen. Wir könnten des Weiteren mit den 380 Milliarden Euro, 47.500 Euro bezahlen an Haushalte mit Kindern im Alter von 0-18 Jahren.

Ich finde diese Vergleiche die wir hier anstellen unheimlich wichtig, weil diese riesige Zahl von 380 Milliarden Euro so greifbarer wird für uns alle. Und. Aus persönlicher Sicht kann ich sagen: Wenn ich damals, als ich nur den 450-Euro-Job hatte und noch aufstockendes Hartz-IV (400,69 Euro) erhielt, 6.000 Euro mehr im Jahr zur Verfügung gehabt hätte (das wären im Monat 500 Euro mehr gewesen), wäre ich nicht mehr auf Sozialleistungen angewiesen gewesen und wir hätten sogar etwas mehr Geld gehabt (99,31 Euro im Monat).

Auch wenn mich die erste Zahl von 380 Milliarden Euro Einkommenslücke am meisten beschäftigt hat, sind natürlich auch unsere anderen zwei Zahlen sehr wichtig, wissens- und verbreitenswert.

Mehr als die Hälfte der gesellschaftlich notwendigen Arbeit ist unbezahlte Care-Arbeit. Dr. Christine Rudolf von unserer AG #CloseEconDataGap hat errechnet, dass der Aufwand von 60 Milliarden Stunden allein für Hausarbeit größer ist als die Stunden, die Männer im produzierenden Gewerbe und in den wirtschaftsnahen Dienstleistungen arbeiten. Dennoch wird z. B. in den Medien fast nicht davon berichtet. In Nachrichtensendungen geht es, wenn es um Wirtschaft geht, nur um Unternehmen und Erwerbsarbeit. Es gibt z. B. die Sendung „Börse vor Acht“ in der ARD, in der täglich von der Börse berichtet wird. Warum gibt es nicht auch „Care vor Acht“, eine Sendung, in der täglich über die unbezahlte Care-Arbeit informiert wird, die Wirtschaft erst möglich macht. Leider ist dieser Gedanke zu „Care vor Acht“ nicht von mir. Ich habe ihn auf Twitter von Ina Praetorius geklaut, die aktiv ist im Verein „Wirtschaft ist Care“. Jedenfalls möchte ich, als alleinerziehende Mutter und Care-Aktivistin, die monatlich 17,50 Euro an GEZ-Gebühren bezahlt, dass nicht nur einseitig berichtet wird über Wirtschaftshemen. Ich möchte, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk (gerne auch der privatrechtliche Rundfunk sowie Zeitungen und andere Medien) über private Sorgearbeit berichtet und zwar mindestens zum gleichen Teil, wie über Börse und Wirtschaft informiert wird, denn ohne Sorgearbeit gibt es keine Wirtschaft.

Die Lebenserwartung 1960 lag bie 69,7 Jahren in Deutschland. Im Jahr 2060 wird sie laut Statistischem Bundesamt bei rund 87 Jahren liegen. Diese Zahlen zeigen, was vielfach in Gesellschaft, Politik und Medien gar nicht thematisiert wird, nämlich die Frage, wie wir die ganzen alten Menschen gut versorgen können werden? Ich bin ja immer noch der Meinung, dass wir die unbezahlte Care-Arbeit finanziell absichern müssen, denn dann könnten zu pflegende Angehörige zu Hause betreut werden, ohne das dies ggf. Armut für den pflegenden Angehörigen bedeuten würde. Ich denke die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass wir die Probleme mit der Vereinbarkeit von Familie / Pflege und Beruf nicht alleine damit lösen können, in dem wir nur die Sorgearbeit auslagern in Kita, Hort, Ganztagsschule oder Tagespflege. Das ist zu wenig weit gedacht.

Die dritte von uns auf www.closeecondatagap.de veröffentlichte Zahl beziffert, den monetären Wert der unbezahlten Care-Arbeit:

„825 Milliarden Euro: Auf diese Summe beläuft sich der monetäre Wert der unbezahlten Arbeit der Frauen in Deutschland pro Jahr. Das ist fast so viel wie alle Ausgaben, die Bund, Länder und Gemeinden im selben Zeitraum tätigen.“

Die unbezahlten Sorgearbeit macht einen beträchtlichen Teil unseres Wohlstandes aus und das haben wir sichtbar gemacht in dem wir dieser ansonsten unsichtbaren Arbeit einen Wert beigemessen haben. Gesamtgesellschaftlich gesehen beschäftigen wir uns aber fast nicht damit. Und auch hier macht der Vergleich des monetären Wert der privaten Care-Arbeit diese riesige Zahl von 825 Milliarden Euro greifbarer, weil wir sie verglichen haben mit den Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden.

Während es z. B. in der Schweiz jährlich aktuelle Zahlen gibt zur unbezahlten Arbeit, die bei der SAKE (schweizerische Arbeitskräfteerhebung) mit erfasst werden, gibt es in Deutschland nur alle 10 Jahre Zeitverwendungserhebungen (ZVE). Die letzte ZVE war in Deutschland 2012/2013 und die nächste wird nächstes Jahr stattfinden. Bis die Zahlen dann veröffentlich werden dauert es dann nochmals ca. 2 Jahre. Das ist auch der Grund, warum Dr. Christine Rudolf von unserer AG #CloseEconDataGap Zahlen verwenden musste für die Berechnungen, die eigentlich schon ziemlich alt sind (von 2015). Aber es sind eben die neuesten die wir haben. Wir müssten ganz dringend mehr über die unbezahlte Arbeit in den privaten Haushalten wissen und dies regelmäßig und in kürzeren Abständen erfassen so wie dies z. B. in der Schweiz gehandhabt wird. Das wäre wichtig, damit wir das große Ganze sehen können, nämlich die Wirtschaft und das was Wirtschaft ermöglicht, die private, unbezahlte Carearbeit.

Ich war erstaunt, als ich anfing mich mit dem Bruttoninlandsprodukt (BIP) näher zu beschäftigen, dass es das gar nicht schon „immer“ gab. Caroline Criado-Perez schreibt in ihrem Buch („Unsichtbare Frauen) auf Seite 319 bis 320 dazu:

„Der Zustand der Wirtschaft eines Landes wird anhand des Bruttoinlandprodukts (BIP) beurteilt. Wenn die Wirtschaft eine Religion hat, ist das BIP ihr Gott…………Die Berechnung des offiziellen BIP eines Landes ist ein gänzlich subjektiver Prozess, so Diane Coyle, Wirtschaftsprofessorin an der Manchester University. „Viele Menschen glauben, {das BIP] sei etwas Reales. Tatsächlich ist es aber eine Fiktion, in deren Herstellung viele subjektive Urteile Eingang finden. Und viel Unwissenheit.“……. Viele Güter und Dienstleistungen werden vom BIP gar nicht berücksichtigt. Und die Entscheidung darüber, welche davon in das BIP aufgenommen werden, ist letztlich arbiträr………….Während des zweiten Weltkriegs wurde die heute gängige Berechnungsmethode etabliert. Laut Coyle war sie den Bedürfnissen der Kriegswirtschaft angepasst: „Das Hauptziel war zu verstehen, welches Produktionsvolumen und welcher Konsumverzicht nötig waren, um die Kriegsanstrengungen zu unterstützen.“ Dazu wurde alles gezählt, was Regierung und Unternehmen produzierten. Als Definition der Wirtschaft galt fortan, „was Regierungen und Unternehmen tun.“……………….Doch ein wichtiger Aspekt der Produktion bleib von der „internationalen Konvention über das Verständnis und die Bemessung der Wirtschaft“ ausgeschlossen, und zwar der Beitrag der unbezahlter Hausarbeit wie Kochen, Putzen und Kinderversorgung.“

Mit der Bundestagspetition 2020 hatten ich gefordert, dass die unbezahlte Carearbeit mit aufgenommen werden soll ins BIP. Der Name unserer AG #CloseEconDataGap ist auch eine Forderung dahingehend, alles zu sehen und zu erfassen, was Wirtschaft (Econ) ist und damit eine Daten-Lücke (DataGap) zu schließen (Close), die viel Ungerechtigkeit und Ungleichheit erzeugt.

Letztendlich geht es aber nicht nur um Zahlen und Geld, es geht auch ganz dringend um Werte, die wir gesellschaftlich ändern müssen, damit Fürsorge und die Bedürfnisse der Menschen im Zentrum der Gesellschaft stehen und nicht mehr nur das Wachstum des BIP.

Ich war am 22.05.21 zum 47. Open Ohr Festival in Mainz eingeladen als Referentin zum Thema Care-Arbeit und habe zum ersten mal öffentlich über unsere Zahlen der AG #ClosEconDataGap gesprochen (das war sehr aufregend!). Dieses Kulturfestival ist einzigartig im Bundesgebiet und spricht Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Familien gleichermaßen an. Was mich nach der Veranstaltung sehr gefreut hat, war, als eine Mitarbeiterin des Orgateams (die waren alles noch so jung, das war so schön!) berichtete, dass es während der Podiumsdiskussion einen regen Dialog gab im Chat (die Veranstaltung wurde gestreamt und fand nicht vor Live-Publikum statt aufgrund der Pandemie). Junge Menschen haben also an diesem Abend über unsere Ideen gesprochen, werden sich vielleicht weitere Gedanken dazu machen, möglicherweise das eine oder andere nachlesen und hoffentlich auch eigene Lösungen dazu entwickeln, wie wir Care und die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellen können. Das war der schönste, berührendste Moment für mich bei der Veranstaltung, denn es bedeutete für mich Hoffnung, die wahrscheinlich nicht nur ich in dieser herausfordernden, careotischen (Pandemie)Zeit gut gebrauchen kann. In diesem Sinne, verteilt Fürsorge! In Gedanken, Worten, Taten. #spreadCare

P.S.: Wenn Ihr meine Arbeit zur Anerkennung und zum sichtbar machen der privaten Care-Arbeit unterstützt freue ich mich sehr. Hier geht es zu PayPal.

P.P.S: Lesenswerte Beiträge zum Thema, Care und Care-Arbeit:

  • Text von Elfriede Harth auf beziehungsweise-weiterdenken mit dem Titel: „Sorgearbeit fair teilen – oder Sorgekrise überwinden?“: „Die Forderungen, die nun das Bündnis „Sorgearbeit fair teilen“ am Internationalen Aktionstag Frauengesundheit stellt, sind jedoch schlicht enttäuschend. Was als Problem im Privatleben von Menschen diagnostiziert wird, soll privat von den Betroffenen und auf deren Kosten gelöst werden. Es sollen Männer einen „fairen Teil“ der (unbezahlten) zweiten und dritten Arbeitsschicht übernehmen, damit Frauen sich stressfreier der ersten Arbeitsschicht widmen können. Damit sie so „berufliche Entfaltung“ erfahren. Die Preisfrage, die sich stellt, ist: Wie soll die Politik Männer dazu bekommen, diese ihrer eigenen beruflichen Entfaltung im Weg stehenden Tätigkeiten zu übernehmen?“
  • Beitrag in der Züricher Studierendenzeitung über Bhutan, die das Bruttonationalglück in der Verfassung verankert haben: „So hat sich Bhutan dem nachhaltigen Wachstum verschrieben: Der Tourismus ist kontingentiert, das Bruttonationalglück in der Verfassung verbrieft; selbst die CO2-Bilanz ist nicht nur ausgeglichen, sondern negativ.“
  • Kolumne von Margarete Stokowski im Spiegel: „Armut bei Frauen und Kindern hängen eng zusammen, denn Kinderarmut ist hauptsächlich eine Folge von Frauenarmut. Frauen werden in Deutschland finanziell bestraft, wenn sie Mütter werden. Bei Männern ist es umgekehrt, Vaterschaft wirkt sich positiv auf ihr Einkommen aus.“
  • Interview mit Kai-Uwe Bevc (Vorstandsmitglied bei den MIA`s) bei Solomütter: „„Toxisch“ ist es, weil es dieses Stereotyp „Mann“ zum Leitprinzip erhebt, entweder direkt oder indirekt. Es geht dabei um ein Verhalten, das schädlich auf die Person selbst und ihr Umfeld wirkt. Kontroll- und Machtmechanismen, Wettbewerb, Gewalt, emotionale Armut, Ausbeutung, Männerbünde sind die bekannteren Aspekte. Vielen ist gar nicht so klar, wo überall sich das im Verhalten zeigt: Nach Äußerem bewerten – also Objektivierung und Sexualisierung, aber auch Abwertung alles vermeintlich „Schwachen“. Alltags-Sexismus verwenden, Frauen unterbrechen oder ihre Ideen ungefragt als eigene übernehmen u.v.m. Oder auf sich selbst bezogen: Ein paradoxer Gegensatz aus Ich-Bezogenheit einerseits, andererseits aber nicht auf das eigene Befinden achten, Risiken eingehen, Überlastungen ignorieren, sich keine Hilfe suchen.“
  • Kolumne von Uta Meier-Gräwe im Handelsblatt: „Ein neues Produktivitätskonzept ist überfällig: Die angemessene Bewertung arbeitsintensiver Dienstleistungsberufe und unbezahlter Carearbeit stellt eine der großen Zukunftsaufgaben dar und muss parallel zur Bewältigung der Klimakrise angegangen werden.“

2 Gedanken zu “380-60-825: Warum es sich dabei nicht um die Lottozahlen handelt und was das mit Care-Arbeit zu tun hat

  1. Francis Bee schreibt:

    Ich gebe Dir 100% recht und mir geht es auch so. Nur dass ich derzeit immer noch nicht aufatmen kann und das wird vermutlich auch so bleiben.
    Nie hätte ich gedacht, dass unser so hoch gelobter Sozialstaat alles andere ist als sozial.
    Es ist eine Katastrophe, die sich schon längst vor der Pandemie etabliert hatte. Aber jetzt wird es sichtbarer denn je.
    Die Schäden für die Wirtschaft sind absehbar, und wenn jetzt die Jahrgänge 1960 bis 1970 in die Rente gehen und kaum einer dieser Rentner sich noch etwas leisten kann, wird es auch nichts mit Verkäufen, Verträgen, Urlaubseinnahmen, Freizeitausgaben oder der Unterstützung der Enkel … alles was ausbleibt, wird der Wirtschaft empfindliche Schäden zufügen.
    Die Obdachlosenzahlen sind durch die Decke gegangen und die Tafeln kommen gar nicht mehr hinterher. Ein Ende ist nicht abzusehen.

    Ich selbst bin ALG-II / HARTZ-IV – Bezieherin wegen Krankheit und ich werde bald eine Erwerbsminderungsrente beziehen, deren Höhe ich nicht einmal kenne. Ausgerechnet wurde mir 2016 eine Rente von ca. 850,- € … nach den letzten Unterlagen bekäme ich ca. 650,-€. Davon kann ich nicht mehr leben. Ich sehe mich schon zwangsgeräumt unter Brücke … Bei meiner Erkrankung bedeutet das den Tod – spätestens, wenn es kalt wird.
    Das Geld ist jetzt schon knapp und ich entwickle gerade eine Heidenangst vor einem Klärungsgespräch mit jenen Stellen (DRV), die mir meine Altersarmut in Zahlengrößen vorhalten und vorrechnen, was ich mir noch zu leisten habe. Dabei kann ich dann meine Gesundheit abschminken, weil ich mir die Medikamente nicht mehr leisten kann und von dem Zahnersatz, der jetzt erneuert werden müsste, ganz angesehen. Aber ist egal – wer nichts zum Beißen hat, der braucht auch keine Zähne.
    Das als Dank vom Land/Staat für 40 J. Arbeit in Vollzeit ohne Unterbrechung als Kartographentechnikerin im Öffentlichen Dienst, als Schwerbehindertenvertreterin und Gewerkschafterin … aber is ja egal: einer weniger, der sich auflehnen und vielleicht auch noch Vorschläge zur Änderung der Probleme vorbringen könnte (das geht ja gar nicht !). Weg mit den Leuten, die der Gemeinschaft auf der Tasche liegen könnten. = Das hatte sich Spahns Gesundheitsministerium wohl auch gedacht, als sie minderwertige Masken an Alte, Kranke, Behinderte und Obdachlose verteilen wollte.

    Ein Blick nach Schweden ist ernüchternt. Ich erinnere mich, als Schweden das Ende des Generationenvertrages einläutete und komplett auf den Kopf stellte. Das Einzige, was ich nicht wollte, war der Deal mit Aktion. Das war schon 1980 erkannt worden und war auch in Deutschland dikutiert worden. Getan wurde aber nichts. Warum? Zu sozial?
    Ein weiterer Blick nach Österreich zieht jedem Menschen in Deutschland den Boden unter den Füßen weg. Da fragt man sich, was unsere Regierung in Deutschland sich bei dem Rentensystem gedacht hat.
    Klar, es gibt auch in Österreich Obdachlose – auch in Schweden. Aber wenige. Zu kalt.
    Inzwischen bin ich für ein (Bedingungsloses) Grundeinkommen von nicht weniger als 1000,- €uro für alle Menschen die mit weniger als 1500,- €uro auskommen müssen.

    Die Preise sind gestiegen, Energie und die Mieten steigen schneller, als man Wohnraum finden kann … auch am A… der Welt. Und Klamotten und Einrichtungsgegenstände, Dekoartikel kauft auch niemand mehr was, wenn man was zu verkaufen hat. Mein Dank gilt hier insbesondere nebenan.de, wo viele Nachbarn Dinge verschenken. Ebay lohnt auch nicht mehr … zu viele Gewerbetreibende, die den Markt genauso kaputt wirtschaften. Zalando und Amazon kommen da noch oben drauf. Bücherschränke erledigen den Rest.

    Ich habe seit 2 Jahren kein Buch mehr zum Buchpreis (Buchpreisbindung) verkauft. Und Kalender schaffe ich nur noch zum Selbstkostenpreis und oft genug lege ich noch obendrauf. Das kann ich mir jetzt nicht mehr erlauben.

    So, und nu?
    … ich weiß es nicht. Ich bin so leer, wie man nur sein kann.

    Die Spitze des Ganzen werden Massen an posttraumatisierte Menschen sein. Die Schäden werden unser Gesundheitssystem kollabieren lassen – egal, was wir jetzt als Staat tun.

    VG Francis Bee

    Like

Hinterlasse einen Kommentar