Fürsorgearbeit: „Man kann nicht nicht arbeiten.“ #carearbeitmusssichtbarwerden

Die letzten Wochen standen bei mir unter dem Motto „Was voll ist, muss leer werden“. Ich war so voll von Eindrücken und To-do`s, dass ich das alles erst einmal verarbeiten musste. Da war vor allem die Demo gegen Kinderarmut am 12.05.18 in Berlin, die sehr viel Zeit in der Vorbereitung gekostet hat und natürlich meine Bemühungen, den Bezug von aufstockenden Hartz-4-Leistungen doch noch irgendwie abwenden zu können. Als Anfang Juni dann klar war, dass ich es nicht geschafft habe, Hartz-4 „zu entkommen“, war meine Enttäuschung, neben der Erschöpfung, groß.

Durch meine Ausbildung in Gestalttherapie, meine lange Beratungserfahrung und natürlich die Übung, als (leider) krisenerprobte, alleinerziehende Mutter, habe ich das gemacht, was naheliegend war, ich habe alle ehrenamtlichen Aufgaben (Petition zum Fürsorgegehalt, Blog, Social-Media) vorübergehend eingestellt um der Erschöpfung entgegenzuwirken. In den Wochen im April und Mai, war die Arbeit so weit „entartet“, dass ich teilweise um 23.00 Uhr noch Zuschriften von Lesern beantwortet habe. Die Nächte waren viel zu kurz und die Tage im Prinzip auch, für die Masse an Arbeit, die bewältigt werden musste.

Was voll ist, muss leer werden……….

Im Juni habe ich mich daher ausschließlich um meine zwei kleinen Aufträge gekümmert. Als virtuelle Assistentin betreue ich eine Facebookseite und erstelle Texte zu medizinischen Themen. Außerdem habe ich eine Anfrage bekommen, für ein Coaching. Da es am Anfang eines Coachingprozess immer darum geht, zu sehen wo der Klient jetzt steht und wo er in Zukunft gerne hinmöchte, beginne ich ein Coaching meistens mit dem Thema Ziele. Ich arbeite damit schon lange und habe diese Gedanken auch in mein persönliches Leben integriert. In meinem Alltag als berufstätige Mutter ist ein Zielkriterium besonders oft in meinen Gedanken, nämlich die realistische Erreichbarkeit eines Ziels. Wenn ich mir Tages- oder Wochenaufgaben vornehme, ist eine meiner wichtigsten Fragen, ob die Erledigung der Aufgabe wirklich realistisch ist, z. B. in dem von mir geplanten Zeitraum. Die 5 Kriterien für gut durchdachte Ziele habe ich hier im Bild zusammengestellt:

 

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5 Kriterien, die wichtig sind bei der Formulierung von Zielen

 

Was voll ist, muss leer werden……….

Neben dem Abarbeiten der bestehenden Aufträge habe ich mich um neue Aufträge gekümmert. Hierfür bin ich nun in verschiedenen Jobportalen registriert, in denen Ausschreibungen für virtuelle Assistenten zu finden sind. Im Rahmen einer Bewerbung habe ich in diesen Tagen nun auch mein erstes Bewerbungsvideo gedreht, da dies in der Ausschreibung vom Auftraggeber so gewünscht war. Ich muss zugeben, dass ich üben musste, bis das von mir Gesagte im Video, „flüssig rüberkam“, ohne mehrere „Ich-bin-so-aufgeregt-Ähmmm“. Neue Wege. Neue Herausforderungen.

Was voll ist, muss leer werden……….

In der Zeit, in der ich mich nicht in irgendeiner Form mit Erwerbsarbeit beschäftigt habe, habe ich mich intensiv um unser zu Hause gekümmert. Ein Großputz war nötig, denn in den Kleiderschränken lagen dicke Wollmäuse und auch die Küchenschränke waren nicht vom Staub verschont geblieben. Ordnen, sauber machen und Sortieren waren angesagt. Das war so was von befreiend. Ich freue mich nun wieder jeden Tag, wenn ich Küchen- oder Kleiderschränke öffne um etwas herauszunehmen.

 

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Alles in Wohnung und Keller, was ich nicht mehr gebraucht  habe, wurde von mir in einem  Gebrauchtwarenmarkt abgegeben. Es war einiges. Nun ist wieder alles übersichtlich, ordentlich und sauber.

 

Da vom letzten Umzug, vor fast 4 Jahren, noch Sperrmüll im Keller war, habe ich auch diesen leer geräumt. Mit der äußeren Ordnung, hat sich bei mir auch wieder eine innere Ordnung eingestellt und die Enttäuschung darüber, dass ich es nicht geschafft habe, Hartz-4 zu „entkommen“ war nicht mehr so übermächtig.

Was voll ist, muss leer werden……….

Obwohl ich mich beim Putzen und Ordnung machen ja nicht direkt, mit meinen Kindern beschäftigt habe, fand ich interessant, dass sich unsere familiäre Situation dann dennoch teilweise sehr entspannt hat. Meine Energie, die im April und Mai zeitweise fast nur in Projekte im Außen geflossen ist, kam nun unserem zu Hause und damit meiner Familie zu Gute. Durch das nicht permanent Abgelenkt sein meinerseits durch Socical-Media / E-Mails usw., war meine Aufmerksamkeit viel mehr bei meinen Kindern und das war gut so. Kleiner ist erst 3 Jahre alt und auch der Große (10) braucht noch meine Aufmerksamkeit.

Damit wären wir wieder bei meinem Herzensthema der Fürsorgearbeit. Arbeit hat den Wert, den WIR ihr geben. Ich hatte vor meiner ungeplanten Blogpause ein Gespräch mit einer alleinerziehenden, politisch aktiven Mutter. Sie fragte mich, wie ich den Mütter und Väter wieder integrieren will in den Arbeitsmarkt, wenn sie viele Jahre NICHT GEARBEITET haben, weil sie „nur“ zu Hause waren. Ha! Das sind Situationen, in denen ich ehrlich sprachlos bin. Denn wie konnte es so weit kommen, dass wir Kindererziehung und die Pflege von Angehörigen als NICHT-ARBEIT bezeichnen. Wer sich viele Jahre um die Familie gekümmert hat, hat gearbeitet. Er war nur nicht erwerbstätig. Bitte, liebe Leserinnen und Leser, macht Euch das bewusst. Sprache schafft Realität. Ganz sicher. Wenn ich solche Gespräche führe, weiß ich, dass noch viel Aufklärungsarbeit notwendig ist, für dieses wichtige Thema: Fürsorgearbeit. Aus Verzweiflung nach dem Telefonat habe ich folgenden Tweet auf Twitter gepostet, der dann über 500 Mal geliked wurde, so dass ich wieder Hoffnung hatte:

 

 

Twitter Fürsorgearbeit

Tweet, dessen Resonanz mich dann doch Hoffnung haben lässt.

 

 

Allerdings brauchen wir mehr Menschen, die sich ganz klar dafür aussprechen, dass Fürsorgearbeit Zeit benötigt und das sie nicht in beliebiger Art und Weise mit der Erwerbsarbeit kombinierbar ist. Außerdem darf sie nicht in Armut führen. Fürsorgearbeit muss abgesichert werden (z. B., wie von mir gefordert in der Petition, mit einem Fürsorgegehalt), denn als Mutter/Vater, pflegende Angehörige, tragen wir Verantwortung für Menschenleben. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass jeder der Fürsorgearbeit leistet, natürlich auch Zeit für Selbstfürsorge benötigt. In diesem Fall gilt dann umgekehrt: „Was leer ist muss voll werden.“

Was leer ist, muss voll werden……….

Nachdem auch ich meinen Fürsorgeaufgaben nur gut nachkommen kann, wenn ich Kraft dafür habe, stand in den letzten Wochen bei mir auch die Selbstfürsorge im Vordergrund. Anstatt fachliche Bücher oder Texte zu lesen, habe ich mich beim Lesen von Belletristik entspannt. Ich liebe das, denn ich kann, zeit- und ortsunabhängig in fremde Welten entschwinden und so ganz gut für mich Kraft tanken. Diese kleinen Auszeiten sind für mich lebensnotwendig, da wir ja nie in den Urlaub fahren und ich auch nie ohne Kinder bin. Somit muss ich mir kleine Inseln im Alltag schaffen um meine Akkus wieder aufzuladen.

Im Sommer ist für mich ein weiterer Kraftort, die Natur und hier besonders unser Freibad. Ich kaufe jedes Jahr für uns eine Saisonkarte und wir können dann so oft ins Freibad gehen wie wir wollen. Das Gute ist, dass der Kleine dann seine Kindergartenfreunde trifft und der Große die Schulfreunde. Jeder der beiden hat dann etwas für sich und ich hab ein Buch dabei und alle sind dann (meistens) wirklich glücklich. Da ich die Abendstunden so liebe im Schwimmbad, mit dem sanften Sonnenlicht, machen wir auch oft Abendbrot-Picknick im Schwimmbad. Das ist dann ein bisschen wie Urlaub. Mit den Kindern entspannte Zeit zu verbrinden bzw. dafür zu sorgen dass es auch solche unbeschwerten Tage in unserer Familie gibt, dass gehört auch zur Fürsorgearbeit und ist so wichtig.

 

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Abendstimmung im Freibad beim Picknick

 

Was voll ist, muss leer werden……….

Ich bin ja eine große Schwester, die eine kleine Schwester hat, die 25 Jahre jünger ist. So kam es, dass ich einen Vormittag Ende Juni nicht erwerbstätig sein konnte, weil meine kleine Schwester ihr Abi-Zeugnis bekommen hat. In meinem Kopf ist alles so auf Erwerbsarbeit eingestellt, dass ich tatsächlich vorher gedacht habe, ob ich nicht doch lieber arbeite, weil……..die Liste wäre lang. Dennoch bin ich zur Abifeier  gegangen, denn was ist das für ein Leben, in dem nur die Erwerbsarbeit zählt und alles andere als unwichtig gewertet wird? Das bestandene Abitur und vor allem meine  Schwester ist es wert, dass ich mir dafür Zeit nehme und natürlich auch von Herzen stolz bin darauf. Abitur bestanden! Großartig!

 

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Feierstunde zur Übergabe der Abitur-Zeugnisse

 

 

Wenn ich nicht auf der Abifeier gewesen wäre, hätte ich auch nicht das Lied gehört, dass über 80 Abiturienten im Chor gesungen haben am Ende der Feierstunde: Legenden (von Max Giesinger). Das war sehr schön und berührend, als 80 junge Leute gesungen haben:
„…..suchen den Moment wo alles stimmt. Wir für einen Augenblick Legenden sind.“

Da mich das Lied und wie es von den Abiturienten vorgetragen wurde, so in den Bann gezogen hat, gibt es davon kein Video. Ich war voll und ganz im Hier und Jetzt und diesen Moment gibt es nur in meiner Erinnerung.

Meinen Söhnen habe ich „Legenden“ dann aber auf YouTube vorgespielt. Sie wollten es dann gaaaaaanz oft hören und ich glaube, ich saß ähnlich gebannt bei der Abifeier, wie die beiden Jungs in unserer Küche vor dem Computer im Beitragsbild.

Was voll ist, muss leer werden……….

Welchen Wert Arbeit hat, dass bestimmen WIR. Jeder einzelne von uns. Kinder und zu pflegende Angehörige sind dringend angewiesen auf unsere Liebe, Geduld, Erziehung, Pflege………. So viele Fähigkeiten sind notwendig für die Fürsorgearbeit, dass es unglaublich ist, dass sie von großen Teilen der Gesellschaft als NICHT-ARBEIT gewertet wird. Fast macht mich diese Tatsache sprachlos. Kurz. Bis mir Paul Watzlawick (Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut) einfällt, der 5 Grundregeln aufgestellt hat, die, die menschlichen Kommunikation erklären. Eine davon lautet:

„Man kann nicht nicht kommunizieren.“

Wie wahr. Ich habe dieses Zitat umgemünzt auf die Fürsorgearbeit (die ja u. a. auch viel mit Kommunikation zu tun hat):

„Man kann nicht nicht arbeiten.“

Fürsorgearbeit ist Arbeit, genauso wie Erwerbsarbeit, Arbeit ist. Sie ist eigentlich noch mehr, sie ist Arbeit, ohne die nichts geht, auch keine Erwerbsarbeit. Deshalb hat mich auf Twitter ein Kommentar sehr erstaunt, der da hieß, dass ich mich als Care-Aktivistin um ein „spezielles Thema“ kümmere. Wäre hier gestanden, dass ich mich um ein „universelles Thema“ kümmere,  wäre das eine passendere Beschreibung gewesen, denn kein Mensch kann ohne Fürsorge leben. Leider ist dies vielen Menschen überhaupt nicht bewusst.

Jedenfalls um nochmals auf das von mir umformulierte Zitat zurück zu kommen,  kann man NICHT NICHT arbeiten vor allem, wenn man Kinder hat und/oder Angehörige pflegt. Ich hoffe daher sehr, dass ich irgendwann folgenden Satz nicht mehr hören muss:

„Ich habe nicht gearbeitet, ich war nur zu Hause.“

 

P.S.: In eigener Sache suche ich Aufträge als virtuelle Assistentin (Infos unter http://www.clairefunke.de). Das Schreiben von Texten zu verschiedenen Themen gehört auch noch zu meinem Repertoire (z. B. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Care-Arbeit, Medizin, Arbeitsmarkt, Essen und Trinken). Extremalleinerziehend würde ich am liebsten im Homeoffice arbeiten, gerne auch festangestellt. Freiberuflich geht aber auch. Andere Arbeitsvariationen sind möglich. Schließlich bin ich flexibel. Meistens. Anfragen nehme ich gerne an unter: info@mamastreikt.de

9 Gedanken zu “Fürsorgearbeit: „Man kann nicht nicht arbeiten.“ #carearbeitmusssichtbarwerden

  1. Petra van Schoor schreibt:

    Als eines von vier Kindern konnten wir, wenn überhaupt, nur mit Freizeiten Urlaub machen. Wenn dann in der Vorstellungsrunde meine Mutter – heute weiß ich, dass es ironisch war – sagte: „Wir haben vier Kinder, ich arbeite nicht!“ haben immer alle gelacht, was ich damals nicht verstanden habe.
    Heute weiß ich, dass wir Mütter einen großen Beitrag für die Gesellschaft leisten; in Form von Erziehungsarbeit und Pflege, die in der Regel nicht vergütet wird.
    Warum eigentlich nicht?
    Bis die Kinder – hoffentlich – arbeiten und dann Steuern zahlen, investieren Eltern viel Zeit, Geld und nicht zuletzt Nerven.
    Dies muss von der Gesellschaft honoriert werden – mit einem Erziehungsgehalt o.ä.
    Ich danke Ihnen für das Bewusstmachen dieses Themas, welches mir schon lange am Herzen liegt.

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  2. Patrizia Ricci schreibt:

    Hallo Claire,
    wie schön, dass Sie das hier machen. Ich würde ja gerne mal die Kräfte konzentrieren und das ganze Thema in die Medien und vor Gericht bringen.
    In welcher Form wäre sowas denn mal möglich ?
    Da viele Frauen ja sehr unpolitisch sind, und es bleibt ja vorwiegend ein Frauenthema, würden dadurch vielleicht mal einige aufmerksam.

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    • Mama streikt schreibt:

      Liebe Patrizia,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Es gibt schon die ein oder andere Präsenz in Print- (Stern) und Onlinemedien (heute, Stern, Fränkischer Tag), sowie Radio (DLF Kultur am 12.5.18). Da für dieses Thema Fürsorge erst langsam Bewusstheit erlangt wird und ich mein Projekt alleine und ehrenamtlich mache, dauert das Voranbringen des Themas vielleicht etwas länger und ist später dann hoffentlich um so nachhaltiger.

      Beste Grüße, Claire Funke

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